Rebecka Martinsson 04 - Bis dein Zorn sich legt
Stücke. Alle Arten von Mücken machen beim Sjösalawalzer mit, und die Telefonleitungen biegen sich unter den Schwalben, die wie aufgereiht auf ihren Logenplätzen sitzen.
Die jungen Männer tragen gewendete Anzüge. Die Mädchen haben ihre Kleider umgenäht und ihre Röcke mit Zellulose gestärkt. Gertenschlank sind sie allesamt in diesen Rationierungszeiten.
Kerttu fühlt sich nicht ganz wohl in ihrer Haut. Musste allein zum Tanzboden gehen. Und ihr schönstes Kleid wollte Schörner sie auch nicht anziehen lassen.
»Du darfst nicht zu sehr auffallen«, sagte er. »Du musst ein ganz normales Mädchen sein, du kommst aus … woher du eben kommst.«
»Piilijärvi«, sagte sie.
»Aber du hast natürlich keinen Verlobten, und du wohnst bei deiner Kusine hier in Luleå und suchst Arbeit.«
Jetzt kauft sie sich eine Limonade und lungert am Rand des Tanzbodens herum. Zwei Jungen wollen sie auffordern, und sie sagt freundlich: »Vielleicht später«, und erklärt, dass sie auf ihre Kusine wartet. Jetzt kommt sie sich vor wie eine Mischung aus Mauerblümchen und Eiskönigin, und sie trinkt ihre Limonade ganz langsam, damit die kein Ende nimmt. Aber aus dem Augenwinkel sieht sie den Mann, den Schörner sucht. Er hat Kerttu ein Foto gezeigt. Axel Viebke.
Nun kommt Schörner. Er hat den Auto-Union Wanderer des Depotleiters geliehen. Die kleinen Jungen, die beim Tanzboden herumhängen und wie Amseln in den Birken sitzen, drängen sich um den feschen Sportwagen, der mit Benzin fährt und überhaupt.
Schörner, der rasch sieht, wer bei der Bande der kleinen Jungen der Anführer ist, gibt dem fünf Kronen, damit er ein Auge auf das Auto hat. Er will keine Kratzer darin vorfinden. Oder feststellen müssen, dass irgendein Witzbold ein Stück Zucker in den Benzintank geworfen hat.
Dann schlendert er zum Tanzboden. Er trägt Uniform. Um ihn verbreitet sich verstohlene Starre.
Er kauft eine Limonade, rührt sie aber kaum an. Dann tritt er auf Kerttu zu und fragt, ob sie tanzen will.
»Nein, danke«, antwortet sie mit lauter Stimme. »Ich tanze nicht mit Deutschen.«
Schörners Gesicht wird weiß und starr. Dann schlägt er die Hacken zusammen, marschiert zurück zum Auto und fährt weg.
Kerttu schaut zu Axel Viebke hinüber. Sie schaut, schaut. In seine Augen. Dann schlägt sie ihre Augen nieder. Und dann schaut sie abermals in seine Augen.
Er löst sich aus der Gruppe seiner Kameraden und kommt auf sie zu.
»Tanzt du denn mit Jungs aus Vuollerim?«, fragt er.
Sie lacht mit all ihren weißen Zähnen und sagt, ja, sehr wohl.
Während sie tanzen, erzählt sie, dass sie zu ihrer Kusine nach Luleå gezogen ist, um Arbeit zu suchen. Und die Kusine scheint vergessen zu haben, dass sie beim Tanzboden verabredet waren, denn sie lässt sich nicht blicken, aber das macht nichts, denn Axel Viebke und Kerttu tanzen den ganzen Abend.
Nach dem Tanz will er sie nach Hause bringen. Sie sagt, dass er sie ein Stück weit begleiten darf. Sie gehen hinunter zum Fluss, die Trauerbirken werden bald gelb werden, dann wird dieser Sommer zu Ende sein. Das ist wehmütig und romantisch.
Axel sagt, dass er es bewundert, wie sie den deutschen Militär abgewiesen hat, als der sie auffordern wollte. Für wen hält der sich eigentlich, einfach in diesem protzigen Auto anzukommen!
»Ich hasse die Deutschen«, sagt sie.
Dann verstummt sie und schaut auf den Fluss hinaus.
Axel Viebke fragt, woran sie denkt. Sie will wissen, ob er von den drei dänischen Kriegsgefangenen gehört hat, die von einem Schiff im Hafen geflohen sind.
»Ich hoffe, die kommen durch«, sagt sie. »Wohin die wohl gehen wollen?«
Er sieht sie an. Sie kommt sich vor wie in einem Film. Wie Ingrid Bergman.
»Die schaffen das«, sagt er und streichelt ihre Wange.
»Woher weißt du das?«, fragt sie und lächelt.
Und ihr Lächeln ist ein ganz klein wenig herablassend. Als sei er für sie nur ein Junge auf einem Tanzboden, der keine Ahnung hat. Obwohl sie doch viel jünger ist.
»Ich weiß es«, sagt er. »Ich habe sie nämlich versteckt.«
Da lacht sie auf.
»Du würdest doch sicher alles sagen, um ein Mädchen küssen zu dürfen.«
»Glaub, was du willst«, sagt er. »Aber es ist so.«
»Dann will ich sie kennenlernen«, sagt Kerttu.
Zwei Tage darauf sitzt sie zusammen mit Sicherheitschef Schörner in Walther Zindels Auto-Union Wanderer. Zwei deutsche Soldaten sitzen auf der Rückbank. Ihre Waffen liegen auf dem Boden.
Es ist ein wunderschöner Spätsommertag. Auf den
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