Rebecka Martinsson 04 - Bis dein Zorn sich legt
mein Vater davon gehört hat. Da hat ihn der Schlag getroffen. Man soll nicht im Vergangenen herumwühlen.«
Er hört, wie das klingt. Als ob er sich verteidigt. Das ist nicht richtig. Aber er weiß nicht, was er sagen soll.
»Du?«, ruft Anni. »Allein?«
Er schüttelt den Kopf.
»Das ist nicht wahr«, sagt Anni.
Ihre Stimme ist jetzt kraftlos. Sie hält sich am Geländer der Vortreppe fest, um nicht zu fallen.
»Das kann nicht wahr sein!«
Dann stößt sie einen Laut aus. Es klingt, als ob ihr ein Tier in der Kehle säße. Und als das Tier seine Klage ausgestoßen hat, dreht es sich Hjalmar zu. Ihr Blick brennt. Die Wörter kommen in gurgelndem Zorn.
»Mach, dass du wegkommst! Scheusal! Lass dich nie wieder hier blicken. Hast du gehört?«
Hjalmar setzt sich ins Auto. Er legt beide Hände zu einer Schale aneinander, drückt sein Gesicht in die Schale. Er wird machen, dass er wegkommt. Er muss sich nur erst ein wenig fassen.
Dann verlässt er Annis Hof und fährt nach Norden. Sowie der Kloß in seinem Hals sich aufgelöst hat, wird er bei der Polizei anrufen. Und darum bitten, mit der Staatsanwältin sprechen zu können, mit Rebecka Martinsson.
Isak Krekula liegt in der Kammer auf dem Rücken. Seine Füße sind eiskalt. Er friert. Aus der Küche ist das schwere Ticken der Wanduhr zu hören. Sie ist wie eine Todesmaschine. Zuerst hing sie in seinem Elternhaus an der Wand. Dann starben die Eltern, und die Uhr landete bei ihm und Kerttu. Wenn er tot ist, wird Laura sie zu sich und Tore holen, und dann werden die beiden dem Ticken lauschen und darauf warten, dass sie an die Reihe kommen.
Er ruft nach Kerttu. Wo zum Teufel treibt die Alte sich herum?
»Hallo! Tule tänne! «
Endlich kommt sie. Er knirscht mit den Zähnen und zetert vor Ärger, als sie ihm die Decke über die Füße legt.
Er ruft sie doch schon seit einer Ewigkeit. Warum hört sie nicht? Taubes dummes Weibsstück.
»Ich setz Kaffee auf«, sagt Kerttu und geht zurück in die Küche.
Er mahlt seinen Ärger weiter wie eine Mühle. Sie muss kommen, wenn er ruft. Versteht sie das nicht? Hier liegt er doch ganz hilflos.
»Hörst du?«, ruft er. »Hörst du mir zu? Verdammte Hure!«
Das Letzte fügt er mit etwas leiserer Stimme hinzu. Immer hat er solche Dinge unbekümmert ausspucken können. Er hat das Essen auf dem Tisch bezahlt und war der Herr in seinem eigenen Haus. Aber was macht man, wenn man auf diese Weise liegen bleibt? Abhängig?
Er schließt die Augen, kann aber nicht schlafen. Er friert. Er ruft Kerttu zu, sie soll noch eine Decke bringen, aber nichts passiert.
In seinem Kopf ist es August 1943. Es ist ein heißer Spätsommertag. Er und Kerttu sind in Luleå. Sie unterhalten sich mit William Schörner, dem Sicherheitschef der SS, vor dem deutschen Militärdepot beim Dom mitten in der Stadt. Eine Menge Lastwagen wird mit Säcken mit Adlerstempel und überaus schweren Holzkisten beladen, mit denen vorsichtig umgegangen werden soll.
William Schörner ist wie immer gepflegt, sorgfältig rasiert, korrekt. Er scheint im Sonnenschein nicht einmal zu schwitzen. Der Leiter des Vorratslagers, Oberleutnant Walther Zindel, der in Luleå stationiert ist, schiebt sich zwei Finger unter den Kragen, ihm ist offenbar hieß. Isak hat nur gesehen, dass er seinen Arm zum Hitlergruß ausgestreckt hat, wenn Sicherheitschef Schörner in der Nähe war.
Schöner und Zindel ist anzusehen, dass sie unter Druck stehen.
Das Kriegsglück der Deutschen hat sich gewendet. Alles ist jetzt anders. Schweden nimmt immer mehr Juden auf. Während des Frühlings und Sommers ist der Widerstand dagegen, dass deutsche Züge durch Schweden fahren dürfen, gewachsen. Der Schriftsteller Wilhelm Moberg hat in der Zeitung über den Urlaubsverkehr geschrieben, dass nicht nur unbewaffnete deutsche Soldaten auf Heimaturlaub in diesen Zügen durch Schweden transportiert werden, sondern auch mit Bajonetten und Pistolen bewaffnete Soldaten. Ende Juli hat die schwedische Regierung das Transitabkommen mit Deutschland aufgekündigt, und die schwedische Bahn wird bald damit aufhören, deutsches Militär zu transportieren. Hitler ist jetzt verhasst. In Berlin sind vier Schweden wegen Spionage zum Tode verurteilt worden. Das schwedische U-Boot »Ulven« wurde im April versenkt, und angeblich wurde ein weiteres schwedisches U-Boot, die »Draken«, von dem deutschen Handelsschiff »Altkirch« beschossen. Im Juli versenken die Deutschen zwei schwedische Fischerboote vor der
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