Rebellin der Liebe
Mit dem verfallenen Gemäuer Bedlingtons jedoch hatte sie nicht die geringste Ähnlichkeit. Elegante runde, von konischen grauen Schieferdächern gekrönte Türme ragten in den weiß bewölkten Himmel auf. Eine mit Zinnen versehene Mauer umringte den massiven, samtig braunen Sandsteinpalast in ihrem Inneren.
Willow blinzelte verwirrt. Dies war bestimmt nur ein Traum. Wer außer einem Prinzen hatte wohl ein derart majestätisch elegantes Heim?
Offenbar hatte sie diese Frage laut gedacht, denn Sir Hollis sagte: »Ihr.«
Sie starrte den Ritter mit großen Augen an, doch als sie sein angespanntes Lächeln bemerkte, wurde ihr kalt. »Dieses majestätisch elegante Heim ist Elsinore, und Ihr, meine Liebe, seid die neue Burgherrin.«
»Die Kutsche kommt! Die Kutsche kommt!«
Auf den lauten Schrei vom Wachturm und das Ertönen der Fanfare hin streckte Bannor gähnend seine langen Beine aus. Er rührte sich nicht vom Fleck, denn schon zweimal in der letzten Woche hatte Desmond ihn mit einem ähnlichen Ausruf aus seinem Turmzimmer gelockt. Beim ersten Mal war er in seiner Eile auf den eingewachsten Dielen ausgerutscht, kopfüber die Treppe hinuntergestürzt und hätte sich das Genick gebrochen, hätte die Wand ihn nicht gebremst. Beim zweiten Mal war er vorsichtiger gewesen und war die Treppe auf Zehenspitzen hinuntergeschlichen, bis das Schwein, das Mary Margaret mit einer Hand voll Maiskörner in den großen Saal gelockt hatte, ihn umrannte.
Bei der Verteidigung der königlichen Festungen in Guienne und Poitou hatte er zahlreiche Belagerungen überstanden, aber keine war so lange und gnadenlos gewesen wie die von Elsinore. Seit Hollis auf der Suche nach einer Mutter für seine Kinder losgezogen war, hatte Bannor den Großteil seiner Geschäfte von seinem Turmzimmer aus geführt und sich nur im Schutz der Dunkelheit, wenn die Kinder schliefen, vor die Tür gewagt.
Eines Morgens, kurz vor Anbruch der Dämmerung, hatte er sich in die aneinander angrenzenden Zimmer der Gören geschlichen und sie alle zusammen wie einen Wurf Welpen in einem riesigen, baldachinüberspannten Bett entdeckt. Mary Margarets hatte, einen Daumen zwischen den rosigen Lippen, selig geschlummert, während Desmond, Mary Margarets Haare wie einen goldenen Fächer über seiner Brust, leise geschnarcht hatte. Bannor hatte die sommersprossigen Wangen und die Stupsnase seines Ältesten betrachtet und sich kopfschüttelnd gefragt, wie ein derartiges Engelsgesicht mit einem derart teuflischen Wesen in Einklang zu bringen war.
Das Gefühl der Hilflosigkeit, das ihn seit seiner Rückkehr plagte, war ihm vollkommen fremd. Er wusste alles, was es über Kriege zu wissen gab, aber als Vater war er total unbedarft. Wie kam es, dass er eine Legion von zwölfhundert der stärksten und gefährlichsten Männer des Königs zu befehligen verstand, zugleich jedoch nicht in der Lage war, einen mageren Jungen dazu zu bewegen, dass er ihm auch nur den kleinsten Gefallen erwies?
Gerade als er dem Jungen eine seiner kastanienbraunen Locken aus dem Gesicht hatte streichen wollen, hatte Mary Margaret ihre blauen Augen aufgemacht.
»Papa?«, hatte sie geflüstert. »Bist du ein Geist?«
»Nein, mein Schatz«, hatte er gemurmelt. »Nur ein Traum.«
Sie hatte die Augen wieder zugemacht und war mit einem zufriedenen Seufzer eingeschlafen, woraufhin Bannor lautlos den Raum verlassen hatte.
Da der Wachposten nicht noch einmal rief, lehnte sich Bannor auf seinem Stuhl zurück und legte in der Hoffnung auf ein Nickerchen das Kinn auf seine Brust. Schlaf war etwas besonders Kostbares, seit er allnächtlich wie ein belagerter Geist durch seine eigene Burg zu schleichen gezwungen war.
Als er plötzlich ein Klopfen an der Tür vernahm, sprang er auf und griff instinktiv nach seinem Schwert.
»Mylord, Mylord!«, drang Fionas aufgeregtes Rufen durch das dicke Eichenholz. »Auf der Straße von Süden wurde weniger als drei Meilen von hier entfernt eine Kutsche ausgemacht! Ganz sicher ist es Eure Frau!«
Seine Frau. Langsam ließ Bannor sein Schwert sinken. Seit Margaret vor über sechs Jahren gestorben war, hatte er ohne Frau gelebt.
Er hörte das ungeduldige Schnalzen der Kinderfrau, als er die schwere Bank zur Seite schob, mit der er die Tür verbarrikadiert hatte. Fiona stand im Korridor und nestelte mit ihren knorrigen Händen an ihrer Schürze herum. »Es ist Eure Frau, Mylord. Endlich ist sie da!«
Bannor riss sein burgunderrotes Wams von der Stuhllehne und zog es eilig über
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