Rebellin unter Feen
sind wie kleine Wiesel und schwer zu fassen. Wo ich schon von Kindern spreche: Das da« – sie zeigte auf Bryony – »wächst Winka offenbar über den Kopf. Jemand anders muss sich um die Kleine kümmern.«
»Ich werde Ihre Majestät um Rat fragen«, sagte Hasenglöckchen. Bryony spürte einen Stich im Magen. Wenn die Königin sie nun zu Dorna schickte? Oder, schlimmer noch, zu Malve?
»Es tut mir leid«, rief sie unglücklich. »Ich will bei Winka bleiben. Ab jetzt bin ich auch immer ganz brav.«
Dorna funkelte sie wütend an. »Du bist still«, sagte sie. »Bei dem Schlamassel, in dem du steckst, kannst du von Glück sagen, wenn die Königin dir nicht die Flügel stutzt und dich Nachttöpfe schrubben lässt, bis du fünfzig bist.«
Bryony sah sie erschrocken an, sank auf ihren Stuhl zurück und faltete kleinlaut die Hände im Schoß.
»Na, so schlimm wird es nicht kommen«, beschwichtigte Hasenglöckchen. »Die Königin wird Gnade walten lassen. Aber das Kind braucht ganz offensichtlich eine strenge Hand.«
»Überlasst sie mir«, sagte Dorna. Sie trat zu Bryony, packte sie am Ellbogen und zog sie hoch. »Ich bringe ihr schon Respekt bei.«
»Wenn du sie schlägst …«, begann Hasenglöckchen, doch Dorna ließ sie nicht ausreden.
»Glaub mir, ich habe etwas Besseres als eine Weidenrute«, sagte sie und schob Bryony zur Tür.
Bryony bekam es mit der Angst zu tun und wollte nicht gehen, aber Dorna packte sie am Kragen ihres Kittels und hob sie in die Luft. Der Stoff knautschte sich unter Bryonys Flügeln zusammen, und sie strampelte und zappelte, doch Dorna marschierte unbeeindruckt mit ihr aus dem Zimmer. An der Treppe angekommen, stellte sie Bryony auf die Füße und sagte: »Vor sechs Wintern ist deine Eimutter mitten in einem Eissturm aus der Eiche geklettert und erfroren. Als ich sie fand, hatte ihre letzte Zauberkraft sie bereits verlassen und sie war verschwunden. Nur ein Haufen alter Kleider blieb von ihr übrig – und du. Das erste heile Ei seit was weiß ich wie vielen Jahren. Wir hatten solche Angst, du könntest nicht schlüpfen. Glaubst du, die Königin ist dumm und erlässt nach Lust und Laune Regeln? Du hättest da draußen heute umkommen können.«
»Aber der Menschenjunge wollte mir nichts tun«, protestierte Bryony. »Er wollte nur spielen.«
»Das wollen Katzen auch«, sagte Dorna. »Und anschließend fressen sie dich. Jetzt gehen wir diese Treppe hinunter. Du kannst selber gehen, oder ich trage dich wie eine tote Spitzmaus über der Schulter.«
»Was hast du mit mir vor?«
»Das wirst du schon sehen«, sagte Dorna. »Los jetzt.«
Bryony gehorchte mit trockenem Mund und bleiernen Beinen. Dorna schob sie zwei volle Umdrehungen der Wendeltreppe bis zum nächsten Absatz hinunter. Über einen Steg und an der gekrümmten Wand des Treppenhauses entlang gelangten sie zu einer Tür, die Bryony nicht kannte. Dorna klopfte an und wartete. Ungeduldig trommelte sie mit den Fingern auf den Griff ihres Knochenmessers. Als klar wurde, dass niemand ihnen öffnen würde, stieß sie mit der Schulter gegen die Tür und drückte sie auf.
Im Zimmer war es stickig und die Luft staubig. Dorna zündete eine Lampe an und trug sie zu einem schmalen Bett. Dort lag unter einem Berg von Decken bewegungslos und mit offenen Augen eine Fee.
»Sieh sie dir an«, befahl Dorna. »Erkennst du sie?«
Bryony wusste sofort, um wen es sich handeln musste. Doch die Gestalt auf dem Bett wirkte so verschrumpelt und hinfällig, so anders als die ehemals rotbackige Person, an die sich Bryony erinnerte, dass sie sie viel lieber nicht gekannt hätte. Die einst alterslose Haut war aschgrau und von Adern durchzogen. Arme und Beine waren spindeldürr, auf dem Kopf wuchsen nur noch einige wenige graue Haarbüschel. Die Gestalt roch nach Beinwellsalbe, aber noch stärker nach Verwesung. Bryony fuhr erschrocken zurück und schlug die Hände vor den Mund.
Dorna nickte. »Ja, es ist Ampfer. Sie hat dir Leckereien aus der Küche zugesteckt, wenn Malve nicht hingesehen hat, nicht wahr? Sie war übrigens noch gar nicht so alt. Erst hundertundneunzig.«
»Was … ist mit ihr passiert?«
»Wir nennen es das Schweigen.« Dorna zog die Decken wieder über Ampfer. »Zuerst wird man reizbar, manchmal sogar gewalttätig. Dann verwirrt sich der Verstand und man plappert Unsinn. Man ist völlig entkräftet und zu keiner Bewegung mehr fähig. Man friert, und kein Feuer kann einen mehr wärmen. Zuletzt endet man so.« Sie zeigte auf die
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