Rebellion des Herzens
entsprach nicht ganz dem, was Tom erwartet hatte, als er ihm am Morgen gegenübergetreten war, um ihn daran zu hindern, sein Hotel zu verlassen. Irgendwie hatte er sich den Revolverhelden größer vorgestellt, älter und nicht gar so cool angesichts seiner Herausforderung. Er hatte reagiert, als sei es ihm gleichgültig – so oder so. Aber Tom hatte sich davon nicht beirren lassen.
Er hatte sich dem anderen Mann in den Weg gestellt und mit lauter Stimme, so daß jeder in der Nähe es hören konnte, gefragt: »Angel? Ich habe gehört, daß Sie schnell sind, aber ich bin hier, um Ihnen zu sagen, daß ich noch schneller bin.«
»Wie Sie meinen, Mister. Ich habe nicht vor, mich über dieses Thema zu unterhalten.«
»Aber ich habe vor, es zu beweisen. High Noon? Enttäuschen Sie mich nicht.«
Erst als Tom sich von dem anderen Mann abgewandt hatte, war ihm bewußt geworden, wie kalt und gefühllos Angels Augen geblieben waren, Augen so schwarz wie die Sünde, die Augen eines gnadenlosen Killers.
Äußerlich völlig gelassen wartete Angel auf seinen Herausforderer. Er hatte sich mitten auf die Straße gestellt, aber weiter würde er nicht gehen. Geduldig ließ er den ruhmsüchtigen jungen Mann auf sich zukommen. Seinen Zorn konnte man ihm nicht ansehen. Was er tun würde, war so sinnlos. Es war etwas anderes, als jemanden zu töten, von dem er wußte, daß er den Tod verdient hatte. Er kannte diesen Jungen nicht, wußte nicht, welche Sünden auf sein Konto gingen, wie viele Männer er schon getötet hatte, um sich einen Namen zu machen, oder ob er überhaupt schon jemanden umgelegt hatte. Er haßte es, wenn er diese Dinge nicht wußte.
Das Wissen hätte jedoch nichts an dem geändert, was er tun würde, sondern lediglich das Bedauern darüber ausgelöscht, sinnlos töten zu müssen. Nun, die meisten dieser ruhmsüchtigen jungen Männer hatten nicht die Nerven, ausgerechnet mit ihm zu beginnen. Sie hatten schon eine ganze Menge Schießereien hinter sich gebracht, bevor sie sich an einen großen Namen heranwagten, und das bedeutete, daß sie für ihre Karriere als Revolverhelden bereits getötet haben mußten – und wahrscheinlich waren dabei auch einige unschuldige Männer gestorben. Angel empfand keine Reue, wenn es darum ging, solche Männer zu töten. In dieser Hinsicht sah er sich als Vollstrecker; er war einfach jemand, der dazu beitrug, gemeingefährliche Menschen ein wenig schneller zu beseitigen, als das Gesetz es tun konnte, und vielleicht rettete er sogar ein paar anständigen Leuten damit das Leben.
Einen bekannten Namen zu tragen, war sowohl ein Fluch als auch ein Segen. Es trieb die jungen Männer auf der Suche nach Ruhm aus ihren Löchern. Dagegen konnte man nichts tun. Aber es machte seine Arbeit gleichzeitig auch etwas leichter, weil einige Männer dem Kampf mit ihm auswichen. Auf diese Weise wurden Leben gerettet, denn nach wie vor haßte er es, einen Mann töten zu müssen, dessen einziges Verbrechen darin bestand, für den falschen Boß zu arbeiten.
Er war ein Revolverheld, dessen Dienste man kaufen konnte. Das war es, was er gelernt hatte, und er war gut genug, um seinen Lebensunterhalt damit zu verdienen. Man konnte ihn für so gut wie jeden Job gewinnen, vorausgesetzt, der Preis stimmte. Eines allerdings hatten die Leute gelernt: man durfte ihn nicht zu einem glatten Mord auffordern, weil man in dem Falle wahrscheinlich selbst den Tod finden würde. Angel sah keinen Unterschied zwischen einem Mann, der auf ein ahnungsloses Opfer zielte und demjenigen, der ihn zu diesem Zweck engagierte. Für ihn waren sie beide Mörder, und wenn Angel keinen Grund dafür finden konnte, solche Leute selbst zu töten, übergab er sie dem Urteil des Gesetzes.
Er suchte nicht nach Entschuldigungen für seinen Lebenswandel. Zwar wünschte er sich manchmal, daß es anders gekommen wäre, aber die Umstände hatten das eben nicht zugelassen. Und wenn er auch instinktiv dazu neigen mochte, Gnade zu gewähren, so folgte er doch der Überzeugung des Mannes, der ihn gelehrt hatte, wie man sich mit einer Waffe verteidigte und schützte: »Die Sache mit dem Gewissen ist ja schön und gut, aber in einer Schießerei hat sie nichts zu suchen. Wenn du schießt, dann schieß, um zu töten, oder sie kommen zurück, um dich zu jagen … Irgendwann in einer dunklen Nacht, draußen in einer kleinen Gasse – eine Kugel in den Rücken, weil sie's schon einmal mit dir aufgenommen haben und genau wissen, daß du zu schnell bist, um
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