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Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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gesagt, sie haute nicht. Sie schrie nur und ging dann aufs Sofa.
    Mittags war sie zu Hause gewesen, als er aus der Schule kam, ihre Haare waren nass, über ihren Schultern lag ein Handtuch. »Hattest du früh«, hatte er gefragt, aber auch das konnte nicht sein, sie hatte geschlafen, als er in die Schule gegangen war. Sie hatte den Kopf geschüttelt. »Du kommst zu spät«, hatte er gesagt. »Nein«, sie hatte sich umgedreht, war zum Flurspiegel gegangen, hatte das Handtuch genommen und ihre Haare ausgedrückt. »Nein«, hatte sie wiederholt, »die Schichten sind jetzt kürzer, ich muss später hin.«
    Lucas zog die Jacke wieder an und ging zum Backshop. Blieb auf der anderen Straßenseite stehen, sah durchs Schaufenster, die Hocker vor dem Tresen waren leer, Reyhan saß an der Kasse. Die Öfen konnte er nicht sehen, eine Kundin sammelte mit der Zange Brötchen in eine Tüte. Sie mochte es nicht, wenn er in den Backshop kam, ich hab den Schlüssel verloren, könnte er sagen.
    Lucas wartete, bis die Kundin gezahlt hatte, ehe er die Straße überquerte, die Frau hielt ihm die Tür auf. Er sagte nicht Hallo, ging direkt auf den schmalen Durchgang zwischen Wand und Kästen zu. »Ey«, hörte er Reyhan rufen, aber da war Lucas schon hinten. Neben den Öfen lehnte ein Typ, blonde Haare, ärmelloses Shirt, und starrte vor sich hin. In zwei der Displays blinkten Nullen, er wusste, was das bedeutete, sie hatte es ihm erklärt.
    »Was willst du hier?«
    Reyhan legte ihre Hand auf seine Schulter, Lucas fühlte die harten Ränder der Plastiknägel, drehte sich um.
    »Wo ist meine Mutter?«
    »Gekündigt«, Reyhan ließ ihn los, verschränkte die Arme, wartete auf seine Reaktion. »Ist nicht mehr gekommen. Ohne anzurufen oder irgendwas«, sagte sie schließlich, als er stumm blieb. »Ich hab die Frühschicht allein machen müssen, hinten und vorne, Danke schön, Manuela. Alles ist angebrannt. Ich auch.« Sie hielt ihm den Unterarm hin, direkt unter dem Ellbogen waren zwei parallele rote Streifen, die Haut seltsam glatt. »Was ist denn mit deiner Mutter?«
    »Sie ist krank«, sagte er, »sie hat Krebs.«
    ***
    Nicolai blieb auf der Promenade stehen, das Licht im Café war bereits eingeschaltet. Ich komme später vorbei, hatte er gesagt, gestern schon. Camille saß am Tresen, wandte ihm den Rücken zu, trug die lilafarbene Bluse. Gestern hatte er stattdessen Sebastian angerufen. »Schluss«, hatte Sebastian gefragt, ehe er Hi sagen konnte. – »Wie, Schluss?« – »Mit der Mexikanerin.« – »Wieso?« – »Weil du anrufst.« – »Ja«, hatte Nicolai gesagt, sie waren ins Trash gegangen, Sebastian hatte eine Germanistikstudentin abgeschleppt, die auch noch Anna hieß.
    Das Café war leer, bis auf einen Typen, der am Laptop arbeitete, sein Apfel leuchtete im gedämpften Licht, Camille trank Cortado doble con leche. Seit es kalt war, trank sie nur Cortado. Er war sicher, ehe sie sich hingesetzt hatte, hatte sie in den Plattenstapeln gesucht, Serge Gainsbourg und Brigitte Bardot, die Nadel auf die fein zerkratzte Rille vor dem dritten Titel gelegt, Bonnie and Clyde. Sie hatte eine Zeitschrift aus dem Ständer genommen, sich an den Tresen gesetzt, die Fotos angesehen, mit ruckartigen Bewegungen umgeblättert. Hatte die Nadel vielleicht ein, zwei Stücke weit entkommen lassen, war dann aufgestanden und hatte sie zielsicher auf die zerkratzte Rille zurückgesetzt, Bonnie and Clyde .
    Er sollte hineingehen, Kino, könnte er vorschlagen, dann redete sie nicht. Oder umdrehen und ins Tier fahren. Aber nicht stehen bleiben, er hatte keine Lust auf Kekse und Erika, der Supermarkt lag in der anderen Richtung, aber sicher konnte er nicht sein. Er mochte Camille, wenn sie still war, Augen zu, Mund zu, nur dalag, weich und ohne ein bisschen Anspannung in den Muskeln. Mochte es, ihre Handgelenke zu nehmen, erst jedes in eine Hand, dann mit den Fingern der Rechten beide Gelenke zu umspannen, sie gekreuzt übereinander zu halten. Er mochte, dass er das konnte, seine Hände sahen riesig aus. Nicolai zog das Mobiltelefon aus der Tasche, mir ist was dazwischengekommen, melde mich morgen schrieb er.
    Er hatte die Promenade halb überquert, da kam sie ihm entgegen.
    »Nico«, Elsa Streml klang erstaunt, »manchmal vergesse ich, wie groß du geworden bist.«
    Sie sprach von einer Brezel, die weg sei, aber das habe seine Richtigkeit, als er die dicke Blonde entdeckte. Jedes Mal, wenn er hinsah, stand sie woanders, erst in der rechten, dann in der linken

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