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Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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Ecke des Balkons, beim nächsten Mal am Küchenfenster, wie beim Stopptrick, und dann, als hätte der Kameramann nachgezogen, in der Mitte, Schlafzimmerfenster, vermutete er.
    »Ich hab Bärchen für dich«, Elsa Streml schob ihre Hand unter seinen Ellbogen, hakte sich bei ihm ein.
    Nicolai sah sich um, Camille saß noch immer am Tresen.
    Er hielt Elsas Tasche, während sie aufschloss.
    »Im Heim gab es Kakao«, sagte sie, »da waren Klumpen drin, wir haben ihn trotzdem getrunken, gab ja sonst nichts Süßes. Erst war ich KLV in Woltersdorf, später im Heim, in Neubrandenburg. Älteste war ich da.«
    Er folgte ihr die Treppe hinauf. »Die Familie wartet«, hatte Helge gesagt, sie standen noch auf dem Friedhof, sollten zum Leichenschmaus fahren. »Das ist nicht ihre Familie, das ist deine«, hatte Nicolai geantwortet, weiter stumm die Kränze mit Schleifen gezählt. »Es ist alles, was sie an Familie besaß«, Helge hatte sich umgedreht, war zu den wartenden Autos gegangen, Nicolai hatte ein Taxi nach Hause genommen.
    »Ich durfte helfen, die Kleinen zu waschen, bis zur Decke hellgelb gekachelt war der Baderaum, und da standen Metallwannen, in zwei Reihen.«
    Elsa Streml war vor ihrer Tür stehen geblieben, hielt den Schlüssel in der Hand und machte keinerlei Anstalten aufzuschließen. Nicolai meinte, etwas hinter der Tür der Nachbarwohnung zu hören, sicher war er nicht, trat dennoch einen Schritt zur Seite, weg vom Türspion.
    »Die Kleinen mussten sich ausziehen und in die Wannen stellen. Und ich hab den Eimer über ihnen ausgeleert, warmes Wasser, solange noch Kohlen da waren, die haben sich eingeseift und dann langsam um die eigene Achse gedreht«, Elsa Streml drehte sich einmal und lächelte ihn an, »und wer gejammert hat, der wurde gekniffen.«
    ***
    Die Rucksackriemen pressten sich in seine Schultern, das Gewicht zog ihn nach hinten, Claas ging die letzte Treppe hinauf, hatte in Charlottenburg die U-Bahn genommen, das Fahrrad geschoben. Im Flur nahm er den Rucksack ab, direkt hinter der Haustür, ließ ihn zu Boden fallen. Dumpf landete er auf den Dielen, die zerbrechlichen Sachen lagen ganz oben, er hatte sie zum Schluss eingepackt.
    Er hatte sich vergewissert, dass Theresa nicht zu Hause sein würde, hatte im Internet Uhrzeit und Wochentag ihrer Vorlesung nachgesehen. Hatte den Rucksack auf dem Kammerboden vor der Waschmaschine ausgeleert, kurz überlegt, ob er die schmutzige Wäsche sortieren sollte, hell und dunkel, hatte es sein lassen, war ins Schlafzimmer gegangen und hatte neu gepackt. Das Arbeitszimmer war unverändert, der Kühlschrank voll, Joghurt und Käse hatte er mitgenommen, eine Packung Serranoschinken, im Barschrank fand er eine ungeöffnete Flasche Tullamore Dew.
    Claas öffnete das Küchenfenster, legte die Lebensmittel draußen auf den Sims, er benutzte ihn als Kühlschrank, den Whisky nahm er mit ins Zimmer. Der Samowar sah seltsam aus, er stand in der Ecke auf den Dielen unter dem Fenster. Daneben der Karton mit dem Kaminbesteck, ein wadenhoher Kranich, zwei Drucke, Der Gendarmenmarkt 1882 , er hatte sie mit der Vorderseite an die Wand gelehnt, damit sie nicht ausbleichten. Die Fensterbänke waren auch kein guter Ort, man konnte die Sachen von draußen sehen. Er brauchte ein Regal, das Türschloss war ein Witz. Er könnte sie nach Charlottenburg bringen, dachte an das Vasenrondell im Arbeitszimmer, sie dazustellen oder ins Wohnzimmer, wo die Couch gestanden hatte, als Überraschung für Theresa. Er könnte sie in den Rucksack tun, müsste vorsichtig fahren, aber er stürzte ja auch sonst nicht.
    Neben der Isomatte lagen eine zerknüllte Brötchentüte, er hatte gestern Abend im Liegen auf dem Laptop ferngesehen, ein Pizzakarton, die Bierflaschen von gestern und vorgestern, eine Sixpackpappe. Claas holte einen Müllbeutel, sammelte alles ein, im Flur standen immer noch zwei Tapetensäcke. Er sah sich auf der Isomatte sitzen, den Rücken an die Wand gelehnt, Pommes essend, seine Finger fettig, Salzkörner klebten daran. Inmitten von Kunststoffschalen aus dem Imbiss, Pizzakartons mit Fettkreisen, wo die Teigböden gelegen hatten. Zusammengeknüllten Alufolienballen, dünnen Servietten, die sich nicht wie Papier anfühlten, Plastikbesteck mit eingetrockneten Ketchupresten. Nein. Er würde kochen, Suppe kochen. Gemüsesuppe hatte etwas Elementares, reduziert aufs Wesentliche. Claas nahm einen Beutel Kartoffeln, legte ihn in den blauen Plastikkorb. Mit Gummibändern zusammengehaltenes

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