Rechnung offen
Oktober
Theresa sah an sich herab zum Bettende, betrachtete ihre Füße, hatte die Schuhe anbehalten, hellgrau, Wildleder, mit abgerundeter Spitze und einem lederbezogenen Zierknopf in der Mitte. Gelbbraune Blattreste klebten an der Sohle, den Hacken, standen an den Seiten hervor. Durchscheinend in der Sonne, zwei helle Vierecke auf der currygrünen Wildseide der zugezogenen Vorhänge, sie konnte die Blattadern erkennen. Ihre Füße lagen auf der zusammengeschobenen Tagesdecke, die kannst du jetzt waschen, dachte sie und rührte sich nicht. Die Bettdecke bildete einen Wall neben ihrem Ellbogen, ein Stück lag als Kissen unter ihrem Hinterkopf, sie trug noch immer ihren Mantel.
Nach der Vorlesung war sie mit Rebekka verabredet gewesen, Rebekka war als Einzige aus ihrer Frauengruppe übrig geblieben. In Unterwäsche waren sie durch die Wohnung gerannt, hatten Patti Smith gehört, Martini, gerührt, getrunken. Eigentlich hatten sie sich nur getroffen, weil ihre Partner damals alle in irgendwelche Männergruppen gingen, in Almhütten fuhren und gemeinsam brüllten. Rebekka war am Vortag aus Göttingen zurückgekommen, ihre Tochter hatte sich von ihrem Freund getrennt. Einkaufen seien sie gegangen, das neue Regal hätten sie gemeinsam zusammengebaut, am Küchentisch geredet, nie vor vier im Bett. »Du weißt ja, wie das ist«, hatte Rebekka gesagt. Nein, Theresa wusste nicht, wie das ist, hatte trotzdem genickt.
Sie sah zur Seite, über den Deckenwall hinweg, zu Claas’ Nachtschrank, sein Wecker fehlte, die Mineralwasserflasche stand noch da, halbvoll und schal mittlerweile. Vor siebzehn Jahren, wolkenlos, war sie in Tempelhof gelandet, zwischen rötlichen Dächern, Nägel in die Handflächen gepresst, Druck auf den Ohren, das Kaugummi vergessen zwischen den Backenzähnen.
Du musst aufräumen, dachte sie.
Die Hämatome waren noch zu spüren, leicht erhaben unter ihren Fingern, Theresa strich an der Außenseite ihrer Oberschenkel hinab, über dem rechten Knie war ein breiter Streifen, rot mit dunkellila Punkten in der Mitte, die Ränder bereits gelblich verfärbt. Das Sofa hatte sich in der Tür verkeilt, sie hatte geschoben, mit zitternden Beinen, hatte die Türöffnung nicht richtig abgeschätzt. Das Metallgestell war gegen den Rahmen geprallt, die Querstrebe der Armlehne aus ihren Händen gerutscht, auf den angespannten Muskel gefallen.
Sie hatte zuerst die kleinen Dinge eingesammelt. Hatte mit einer Hand den Bund ihres Pullovers hochgehalten, mit der anderen Dosen, Kerzenständer, Schälchen, den Satz neonbunter Schachfiguren und ähnlichen Kram in den Stoff gelegt, sie ins Arbeitszimmer getragen. Auf der Jugendstilkommode hatte sie den Pulloverbeutel wieder geleert, bis die furnierte Oberfläche, die blütenförmigen Intarsien bedeckt waren. Die Kerzenständer verteilte sie in den Regalen vor den Büchern.
Das reicht nicht, hatte sie gedacht, hatte die Esszimmerstühle genommen, sie ordentlich, Sitzfläche auf Sitzfläche gestapelt, vor den Regalen aufgereiht. Mehr Platz, hatte sie gedacht, und die Freischwinger auf den Schreibtisch gehievt, daher stammten die blauen Streifen links an ihrer Hüfte. Sie hatte die größeren Dinge, Schirm- und Zeitungsständer, Lampen und schließlich die Vasen eingesammelt. Als der runde Glastisch voll war, sie hielt gerade die Urne aus dem Windfang in der Hand, hatte sie die restlichen Sachen auf den Teppich gestellt, hatte sie dicht nebeneinander aufgereiht, Bauch an Bauch, immer dichter. Wie bei dem Spiel, das Ebba früher auf ihrem Gameboy gespielt hatte, stundenlang stumm auf dem Autorücksitz, in ihrem Zimmer. Geometrische Objekte mussten zu Reihen geordnet werden, und wenn eine Reihe keine Lücke hatte, verschwand sie. So stellte Theresa es sich vor, die Vasen sollten verschwinden, sie wollte sie zusammenschieben, bis zwischen den Sachen keine Luft mehr verblieb, sie einander verformten. Sie zusammenquetschen zu einem Würfel, die Dichte so lange erhöhen, bis sie verschwanden.
Am Ende hatte Theresa das Sofa auf die Rückenlehne gekippt, war mit Schuhen über die Polster gestiegen und hatte es ins Arbeitszimmer gezogen.
***
Sie war nicht zu Hause, es war kurz nach sieben, Lucas legte die Post auf den Küchentisch. Er könnte noch einmal rausgehen. Ümit musste um Punkt sieben mit gewaschenen Händen am Tisch sitzen, »sonst macht es Peng«, hatte er gesagt. »Was heißt Peng«, hatte Lucas gefragt. »Na, mein Vater haut mir eine runter.« – »Ach so«, hatte er
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