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Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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Suppengrün, Karotten, eine Packung Brühwürfel, ein Bund frische Petersilie. Zwei Zucchinis, er brauchte Milch, eine Flasche Weißwein.
    Claas kannte die alte Frau vor ihm in der Schlange an der Kasse, sie hielt den Plastikkorb mit beiden Händen, ihre Oberarme zitterten, als sie ihn der Kassiererin reichte.
    »Alles muss aufs Band, Frau Streml«, sagte die und deutete vor sich, sie lächelte, während sie die Waren über den Scanner zog. »Milch haben Sie heute früh bereits gekauft, die brauchen Sie nicht.«
    Streml, richtig, zweites OG , links. Claas überholte sie auf dem Heimweg, als er aufschloss, bog sie gerade um die Straßenecke, er ließ die Tür hinter sich zufallen.
    Schrader, Manuela, stand bei den Briefkästen, sie sah besser aus, ihre Haare waren gewaschen, die Haut weniger fahl, keine trockenen roten Flecke mehr auf den Wangen. Sie blieb ruhig stehen, als Claas sie grüßte, wich nicht zurück, hob die Arme nicht vor den Körper. Lächelte, die Zähne verfärbt vom Rauchen.
    »Es geht Ihnen besser«, stellte er fest. Sie zögerte, schien zu überlegen, ob sie zugeben sollte, dass es ihr schlechter gegangen war. »Neue Medikamente«, fragte er. Sie schüttelte den Kopf, nahm die Arme hoch und schlang sie um ihren Oberkörper. »Haben Sie über das nachgedacht, was ich gesagt hatte, über den Neuanfang? Den Schnitt?« Sie lächelte wieder.
    »Ja.«
    »Und?«
    »Ich habe neu angefangen«, sagte sie bedächtig, ein wenig stolz, als wäre es das erste Mal, dass sie es aussprach.
    Er mochte diese Momente mit den Patienten.
    »Die Kündigung und die dummen Fristen müssen wir nicht förmlich handhaben«, sagte er, »geben Sie kurz Bescheid, wann Sie umziehen wollen.«
    »Umziehen?«, sie sah erstaunt aus, sah sich nach der Haustür um, »ich möchte nicht umziehen.«
    *
    Du hast Brötchen, Butter und Aufschnitt gekauft, deckst den Tisch, ziehst die Plastikfolien von den Verpackungen, Salami, Schinken, Käse, gießt Milch in sein Glas. Lucas stemmt erst die Handflächen, dann die Fußsohlen von innen gegen den Türrahmen, schiebt sich hoch, Stück für Stück, bis zum Querbalken klettert er, sieht dir zu und sagt nichts. Setzt dich schließlich hin.
    »Ich war im Backshop«, seine Hände quietschen, als er am Rahmen runterrutscht, »du warst nicht bei der Arbeit.«
    »Ich bin wieder in der Pflege«, öffnest das Butterpaket, vorsichtig, damit das Papier nicht reißt.
    »Wo?« Er bleibt neben seinem Stuhl stehen, schiebt den Teller von sich weg.
    »Schmerzpatienten«, du nimmst ein Brötchen, schneidest es auf, »wird besser bezahlt.«
    »Wenn du zu viel verdienst, kriegen wir Ärger vom Amt.«
    »Wir sind abgemeldet«, sagst du, hältst ihm die Brötchenhälften hin. Erfassung zu statistischen Zwecken hatte ganz oben auf dem Formular gestanden, weiter unten: Gründe für die Abmeldung und darunter: Beginn eines neuen Arbeitsverhältnisses am, Name des Arbeitgeber s und ausgeübte Funktion . Salon fatal und Schmerztier, du musstest grinsen. Sonstiges hast du angekreuzt, die drei freien Linien neben dem Kästchen angesehen, überlegt, schließlich heirat auf die oberste Linie geschrieben. Das Wort sah seltsam aus, nach einer Weile fiel dir auf, dass Heirat großgeschrieben wird. Mit dem Vater meines Kindes hast du auf einem Blatt Papier geübt, hast es vorgeschrieben, auf dem Formular sah es richtig aus.
    »Ein Mann ist angefahren worden«, sagt Lucas plötzlich, »einer von den Schwarzen von unten. Er ist erst auf die Windschutzscheibe geschleudert und dann runter. Bei Karstadt, an der Ampel.«
    »Du sollst nicht zu Karstadt.«.
    »Der konnte dann nicht mehr richtig laufen, zwei andere haben ihn gestützt, so«, Lucas streckt einen Arm zur Seite, um dir zu zeigen, wie. »Der Fahrer ist ausgestiegen, hat immer ›Krankenwagen, Krankenwagen‹ gerufen. Aber die sind weiter.«
    Das Paket stellst du nachts auf seinen Schreibtisch, rosa Luftballons auf dem Papier, Blau war aus, die Verkäuferin hat sich entschuldigt, während sie die Schleife band. Am nächsten Morgen liegt das Papier im Mülleimer, der Karton bleibt ungeöffnet, vier Tage lang, auf dem Tisch. Gehst nachsehen, wenn Lucas in der Schule ist. Am fünften ist er weg, findest ihn schließlich unter seinem Bett, er hat ihn hinten an die Wand geschoben. Der braune Klebebandstreifen ist auf einer Seite eingeschnitten, dort, wo die Papplaschen aneinanderstoßen, der Schlitz ist einige Zentimeter lang, als hätte er angefangen, den Karton zu öffnen, und

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