Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
stamme aus Leipzig, war aber im Oktober 2009 zum Antritt meines Psychologiestudiums nach Konstanz gezogen. Das hatte mehrere Gründe: zum einen, weil Jörg seine Firma in der Schweiz hatte, zum anderen, weil die anderen beiden Universitäten, die mich zum Studium zugelassen hatten, für mich aus fachlichen Gründen und wegen der Umgebung nicht infrage kamen.
Jörg war mehrere Wochen in Kanada gewesen, um da während der Olympischen Spiele zu arbeiten und um seine Kinder zu besuchen, die dort bei ihrer Mutter leben. Wir hatten uns also länger nicht gesehen, unter anderem auch deswegen, weil ich ihm ein Treffen zwischen den Olympischen Spielen und seinem Kinderbesuch, das für ihn zwei Tagesreisen nach Europa und zurück zur Folge gehabt hätte, aus Sorge um ihn ausgeredet hatte. Wir einigten uns schlussendlich darauf, dass er einen Tag eher als geplant aus Kanada zurückkehrte. Polizei und Staatsanwaltschaft würden Jörg das später als Täuschungsversuch und als Manöver anlasten, nach dem Motto: Er kam bewusst einen Tag früher zurück, an einem Tag, an dem ihn keiner erwartete.
Die Zeit vor unserer Verabredung hatte ich in Leipzig bei meiner Familie verbracht. Ich fuhr sehr früh am Morgen des 20. März 2010 mit dem Zug los, um vor Jörg am Flughafen in Frankfurt anzukommen. Ich wollte ihn dort überraschen, denn eigentlich war vorgesehen, dass wir uns auf halber Strecke trafen, um meine Fahrzeit zu reduzieren. Seine Flugnummer und die Ankunftszeit hatte er mir vor dem Abflug mitgeteilt, sodass ich ihn am Gate abholen konnte. Es war ein freundlicher Frühlingstag, ich war sehr fröhlich, hatte eine Menge Gepäck dabei (ich war ja vorher bei der Familie gewesen) und wartete in einer kleinen Menschentraube darauf, dass Jörg aus dem Gate trat. Nach vielleicht einer knappen halben Stunde Wartezeit kam er dann auch, ging links um die Ecke, blickte zurück und sah mich freudig überrascht an. Wir begrüßten uns, wie es ein Liebespaar tut, das sich längere Zeit nicht gesehen hat, freuten uns über den jeweilig anderen und traten gemächlich den Weg zum Parkhaus an, wo das Auto stand. Kriminalhauptkommissar ( KHK ) Hubert Dietrich würde später empört vor Gericht berichten, dass wir zur Begrüßung herumgeknutscht hätten – vermutlich war auch das für ihn ein Indiz für Jörgs Täterschaft. Klar, Knutschen ist schon prinzipiell sehr verdächtig – jedenfalls wohl aus Schwetzinger Perspektive.
Jörg war guter Laune, freundlich und liebevoll, ein bisschen verschlafen und erfreut, mich zu sehen. Wir unterhielten uns über seine Lederjacke und deren offensichtlichen Achtzigerjahrestil, darüber, wie es dem jeweils anderen ging (es ging uns beiden sehr gut), über den Flug und dass wir uns freuten, uns nach so langer Zeit wiederzusehen. Als er auf dem Weg zur Tiefgarage an einem Automaten sein Parkticket bezahlt hatte, liefen wir den Gang entlang und suchten einen Fahrstuhl. Der erste war besetzt, der zweite auch, der dritte war leer. Als wir einstiegen, kamen sofort, scheinbar aus dem Nichts, viele Menschen und drängten sich mit hinein. Ich kann mich erinnern, dass mir das seltsam vorkam. Heute weiß ich, dass mich mein Gefühl nicht getrogen hat. Jörg meinte noch scherzhaft, dass man ja sicher auch auf den nächsten Fahrstuhl hätte warten können, anstatt jetzt ein solches Gedränge zu verursachen.
Als der Fahrstuhl in unserem Parkdeck anhielt und wir ausstiegen, verließen noch ein paar, möglicherweise sogar alle anderen Personen den Lift und gingen vorweg. Ich kann mich gut erinnern, dass eine junge Frau an mir vorbeilief und mich angrinste. Später sollte sie sich als eine Art Polizeiazubi und Tochter des Kriminalhauptkommissars Dietrich, des Einsatzleiters, herausstellen, die der Papa zur Promiverhaftung mitgebracht hatte – das erfuhr ich allerdings erst sehr viel später. Die junge Polizistin schien mir im weiteren Verlauf großes Gefallen dabei zu empfinden, die Verhaftung miterleben zu dürfen. Vielleicht kam es ihr ein bisschen vor wie im Zoo, wo man ein exotisches Tier betrachten kann – das sieht man ja schließlich nicht alle Tage!
Wir gingen ein kleines Stück weiter. Plötzlich drehten sich die Personen, die uns eben noch überholt hatten, um und kamen auf uns zu. Ein kleiner älterer Herr (wie ich viel später erfuhr: KHK Dietrich) hielt Jörg eine Art Ausweis vors Gesicht, gleichzeitig stand eine ältere kleine Frau in dunkler Jacke mit mittellangen braunen Haaren, offenbar auch eine
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