Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
ohnehin schon seit einem Jahr beendet. Ganz abgesehen davon, dass niemand sofort an Gefängnis denkt, wenn jemand eine Zeit lang vom Bildschirm verschwindet, zumal Jörg damals noch nicht diesen Bekanntheitsgrad hatte, den er jetzt dank der gut einjährigen öffentlichen Hetzjagd unfreiwillig erreicht hat.
Auffällig ist, dass es sämtliche Ermittlungsbehörden und eingeweihte Privatpersonen geschafft hatten, sechs Wochen lang, von der Strafanzeige bis zur Festnahme, eisern Stillschweigen zu bewahren: Und nun will die Staatsanwaltschaft der Öffentlichkeit weismachen, dass die Ermittlungen, die Festnahme und die Untersuchungshaft Ereignisse seien, die man nicht unbemerkt an Presse und Medien vorbeischleusen könne? Noch nicht einmal drei Tage lang? Solcherlei Ausflüchte empfinde ich als Beleidigung meiner Intelligenz. Jörg und ich haben es später ohne Probleme geschafft, unbemerkt zu heiraten, an einem der Öffentlichkeit frei zugänglichen Platz, ohne uns zu verstecken. Kein Journalist hat davon etwas mitbekommen, und zwar nicht etwa, weil wir ein Riesenaufgebot an Sicherheitsvorkehrungen getroffen hätten, sondern weil wir die beteiligten Personen, Freunde und Familienmitglieder, schlicht gebeten hatten, es für sich zu behalten – und sie haben es für sich behalten. Sollten Staatsdiener mit ihrer Verschwiegenheitspflicht wirklich nicht schaffen, was Privatpersonen problemlos gelingt?
Wir hatten dann noch einmal kurz die Möglichkeit, etwas abseits von den Polizisten miteinander zu sprechen, diesmal schräg gegenüber vom Auto. Jörg ging es weiterhin sehr schlecht, und ich hatte zunehmend den Eindruck, dass er einfach in sich zusammensacken könnte. Ich nahm seine Hand und sagte, um die Situation irgendwie herunter zuspielen und Normalität zu erzeugen: »Dann verschieben wir eben einfach unser Wochenende, mein Schatz.« Doch er reagierte auf solche Sätze kaum mehr als mit einem Nicken oder einem kurzen »Ja«.
Irgendwann – das kann ich zeitlich nicht mehr einordnen, aber vermutlich nicht mehr als fünf bis zehn Minuten später – hieß es, dass sie jetzt abfahren würden. Jörg musste sich hinten ins Auto setzen, und der kleine KHK Dietrich, die untersetzte ältere Polizistin Lapsit, die immer noch sehr fröhlich wirkende Tochter Dietrich und ein schmaler rothaariger Polizist fuhren ab.
Übrig blieben ein bulliger Frankfurter Polizist und zwei Spuren sicherer, die schon dabei waren, das Auto zu durchsuchen. Sie nahmen dafür Dinge aus dem Wagen, legten sie auf eine Folie und fotografierten sie. Der Frankfurter Polizist stand meistens auf die rechte hintere Tür des Polizeiautos gestützt und beobachtete sichtlich gelangweilt die Spurensicherer.
Seit Jörgs Wegfahrt wurde ich immer nervöser, das eben Erlebte bahnte sich seinen Weg ins Bewusstsein. Durch das langatmige Prozedere der Spurensicherer hatte ich mehr Zeit zum Nachdenken, als mir in diesem Moment lieb war. Eine leichte Panik erfasste mich, mir ging es schlecht. Ich fragte den Frankfurter Polizeibeamten mehrmals, wohin die Polizisten mit Jörg denn gefahren seien, fragte, ob ich mit aufs Revier könne und wie der Ablauf einer Verhaftung so sei, wann Jörg denn freikäme und ob es jetzt nur um seine Aussage ginge. Anfangs dachte ich immer noch, er würde spätestens am gleichen Abend wieder frei sein. Dass diese Festnahme der Anfang einer Odyssee, einer schier unendlichen Geschichte des Leids, des Wartens und des stetigen Ertragens einer Ungerechtigkeit nach der nächsten war, hätte ich damals selbst dann nicht geglaubt, wenn man es mir vorausgesagt hätte.
Der Frankfurter Polizist war wirklich der Erste, der ein Mindest maß an Freundlichkeit und Menschlichkeit zeigte. Er versuchte, meine Fragen zu beantworten und mich, soweit es ihm möglich war, zu beruhigen. Warum ich das denn alles wissen wolle, fragte er, und ich entgegnete, dass Jörg sicher einen lieben und bekannten Menschen um sich haben wolle nach diesem ganzen Wahnsinn hier. Er sah mich verdutzt an, sagte aber nichts. Später war er so aufmerksam, mein Gepäck in den Kofferraum zu packen und ganz am Schluss, als wir das Parkhaus verließen, noch einmal nach mir zu schauen und mir, in vollkommener Verkennung meiner Situation, aber in dem Bemühen, freundlich zu sein, eine gute Reise zu wünschen. Das betone ich deshalb, weil die anderen Polizisten, die mit mir zu tun hatten, besonders KHK Dietrich und KHK in Lapsit, eine unangemessen unfreundliche bis aggressive Art und Weise
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