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Rechtsgeschichten: Über Gerechtigkeit in der Literatur (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition)

Rechtsgeschichten: Über Gerechtigkeit in der Literatur (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition)

Titel: Rechtsgeschichten: Über Gerechtigkeit in der Literatur (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Weisberg
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philosophischer, priesterlicher und rechtlicher Formalismen im Dienst ressentimentgeladener Werte. Unschuldige Opfer mussten dafür bezahlen. Das Thema erreichteseinen Höhepunkt in zwei Werken von Camus, Der Fremde (1942) und Der Fall (1956). Im ersten greifen Juristen in das Leben einer Person ein, deren moralisches System sich von ihrem eigenen in drastischer Weise unterscheidet (insbesondere hinsichtlich der Präferenzen für Geschichte und Materialität gegenüber Wortreichtum und Metaphysik). In Der Fall wird ein Pariser Anwalt, dessen verbale Tricks seinen Versuch bedrohen, zur Selbstverständigung zu gelangen, zum Repräsentanten der französischen Kultur. Zwölf Jahre nach Vichy gesteht Camus’ Anwalt ohne große Reue die kosmischen Konsequenzen der inhaltslosen Eleganz der Gesellschaft ein. Das Wort ist nicht wegen einer ihm wesensgemäßen Unwürdigkeit gescheitert, sondern eher wegen seiner Unfähigkeit, aus eigener Macht ein Individuum oder eine Kultur zu unterstützen. Die juristische, verbale Umstrukturierung der Wirklichkeit war womöglich bei der Lösung von Streitigkeiten vor Gericht hilfreich, aber als Mittel zur Organisation der Gesellschaft war sie nicht geeignet, die dem Untergang geweihten, substanziellen Werte des Christentums oder des Heldentums Einzelner zu ersetzen. Als der europäische Faschismus tatsächliche (nicht nur vorgestellte) Kränkungen erzeugte, erhielt das Hamletsche Paradigma strukturierter Rede als Ersatz legitimen Handelns im Munde von Juristen als Protagonisten neue Bedeutung.
    Das vorliegende Buch siedelt die Quelle von Holocaust-Vorhersagen und -Aufarbeitungen im nichtssagenden Wortschwall juristischer Protagonisten an. Diesen Figuren fehlt es an geistiger Substanz, und sie stellen alle Merkmale der tief greifendsten Malaise der modernen westlichen Kultur zur Schau: ständige Ranküne oder Ressentiment. Aber wie innerhalb der Kultur selbst schützt der Lack gewandter Rede und formaler Eleganz die verbitterten Formulierungskünstler vor dem prüfenden Blick der anderen. So schaffen sie es, Einfluss zu gewinnen und ihre verschleierte Raserei nach außen zu tragen, bis letztlich nichts Wesentliches mehr überlebt.
    Die zentrale Bedeutung juristischen Ressentiments für moderne Fiktion wird deutlich, wenn wir in der Folge Leben und Werk der vier hier behandelten Autoren betrachten. Nach der in Teil 1 erfolgenden Untersuchung der Beziehung von Ressentiment zu Kunst und Recht im 19. und 20. Jahrhundert analysiere ich die drastischen Beschreibungen der Malaise bei den großen intellektuellen Protagonisten von Dostojewski und Flaubert. In Teil 2 und 3 wird ausgeführt, dass sich die geistig-seelischen Probleme der redegewandten Figuren direkt aus denen ihrer weitschweifigen Schöpfer ableiten lassen. Für Dostojewski stand narratives Schreiben im totalen Widerspruch zu den christlichen Werten der Selbstlosigkeit und Einfältigkeit, an die zu glauben er vorgab. Für Flaubert ergab sich aus den Anforderungen an literarische Kunst ein Konflikt mit seinem Verlangen, heroisch, spontan sowie politisch und sexuell kraftvoll zu sein. Ihr narratives Faible ließ keinen von beiden in Ruhe und gab ihnen auch nicht das Gefühl, ihr Leben gut zu leben. Kein Wunder also, dass sie sprachgewandte Figuren schufen, die Ausdruck ihrer eigenen ambivalenten Einstellung zu wohl formulierter Rede sind und deren sprachliche Fähigkeiten bar jedes positiven ethischen Inhalts im Leben anderer Verheerendes anrichten. Doch wollten Dostojewski und Flaubert ihre Betrachtungen zur Sprache nicht nur als Selbstkritik verstehen. Daher legten sie juristischen Figuren mit Rollen öffentlicher Verantwortung zunehmend giftige Worte in den Mund.
    Albert Camus, dessen erste und dessen letzte große Novelle über das Recht in Kapitel 7 untersucht werden, erlebte noch, wie Frankreich in Wörtern schwelgte und sich wegen lang unterdrückter Ranküne fast selbst zerstörte. Seine Aufgabe bestand darin, anhand der von Dostojewski und Flaubert geerbten Thematik des Rechts die erschreckende Trennung von Ethik und Sprache zu vermitteln, die große Teile des Kontinents befallen hatte. Auch wenn seine Überzeugungen seiner Zeit entsprachen, klingt in seinen Texten das europäische Thema des legalisierten Ressentiments des 19. Jahrhunderts nach, und daher ist es angebracht, seine Werke mit Rechtsbezug im vorliegenden Kontext zu behandeln.
    Teil 4 des Buchs geht zeitlich einen halben Schritt zurück, macht aber einen Riesensprung

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