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Rechtsgeschichten: Über Gerechtigkeit in der Literatur (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition)

Rechtsgeschichten: Über Gerechtigkeit in der Literatur (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition)

Titel: Rechtsgeschichten: Über Gerechtigkeit in der Literatur (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Weisberg
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interessiert, ist es das Interesse an Literatur als großem Bilderbuch der Geschichte und Philosophie. Sie schlagen es auf und finden Geschichte und Philosophie auf wunderbare Weise illustriert. Statt ihnen sperrig in einer kultur- und mentalitätsgeschichtlichen Monographie zu begegnen, tritt ihnen das bürgerliche Denken über Staat, Recht und Moral am Vorabend der bürgerlichen Gesellschaft in Lessings Emilia Galotti und Schillers Kabale und Liebe lebendig vor Augen. Statt als trockenen Gegenstand der Rechtsphilosophie lernen sie das marxistische Verständnis von Recht und Gerechtigkeit anschaulich in Brechts Der kaukasische Kreidekreis kennen. Literatur wird Lehr- bzw. Lernmaterial, sie führt in historische Zusammenhänge und philosophische Gedanken ein und macht die Zusammenhänge und Gedanken auch denen zugänglich, für die sie anders unverständlich oder uninteressant sind. Den Zugang zu erschließen ist die Aufgabe der Lehrveranstaltungen zu Recht und Literatur. Es ist eine Aufgabe auch der Veröffentlichungen zu Recht und Literatur, und The Failure of the Word mit Weisbergs These über das Ressentiment als typische Gefahr für den Juristen, wenn nicht sogar als dessen typisches Merkmal ist auch ein Lehr- oderLernbuch darüber, was Juristen sind, sein können und sein sollen. Sollen sie die schlechte Welt in Ordnung halten oder gegen die schlechte und für eine bessere Welt kämpfen? Sollen sie ungerechtes Recht so gerecht wie möglich, aber letztlich gehorsam auslegen und anwenden, sollen sie es im Interesse der Gerechtigkeit biegen und brechen, oder sollen sie es überhaupt sabotieren? Sollen sie im Amt des Richters soweit irgend möglich Mund des Gesetzes sein oder ehrlich die eigene Person zur Geltung bringen?
    Aber Literatur macht historische Zusammenhänge und philosophische Gedanken nicht nur leicht zugänglich, weil sie lebendiger und anschaulicher als historische und philosophische Abhandlungen ist. Sie erreicht heute eine Generation von Jurastudenten und -studentinnen, die auch in Deutschland anders als frühere Generationen das Recht weniger in majestätischer Objektivität und mehr als Ausdruck von subjektiven Befindlichkeiten, Interessen und Kompromissen sehen und die eigene Subjektivität in Wissenschaft und Praxis entschlossener zum Ausdruck bringen und weniger hinter objektiv gefassten Formulierungen zurücknehmen.
    Die Wendung zum Subjektiven hat verschiedene Gründe und ist nicht auf das Recht beschränkt. Auch in anderen Disziplinen zählen neben dem um Objektivität bemühten Befund und der auf Objektivität zielenden Theorie zunehmend das Narrativ, die Perspektive, der Einfall, der Gag. Auch im Alltag entspricht es einer verbreiteten, positiv besetzten Vorstellung von Authentizität, die eigene Subjektivität zum Ausdruck und zur Geltung zu bringen. Im Recht haben Legal Realism und Critical Legal Studies über Amerika hinaus die Sensibilität für die subjektiven Faktoren in Rechtswissenschaft und -praxis geschärft, und Europäisierung und Globalisierung schwächen in Deutschland die Bedeutung der Rechtsdogmatik und stärken die Bedeutung des Fallrechts, bei dem die Subjektivität der Richter deutlich zur Geltung kommt. Auch die Beschäftigung mit Geschichte und Philosophie im subjektiven Medium der Literatur kommt der Wendung zum Subjektiven entgegen.
    Die Wendung zum Subjektiven ist durchaus problematisch. Die rationalisierende und disziplinierende Kraft des Anspruchs auf Objektivität ist für die Rechtswissenschaft und -praxis des Rechtsstaats, für das Denken überhaupt und sogar für die intersubjektive Bewältigung des Alltags unverzichtbar. Immerhin kann mit derWendung zum Subjektiven die Sensibilität für die verschiedenen Perspektiven, Stimmen und Geschichten wachsen, die Gegenstand des Rechts werden. Wer nimmt das Recht wie wahr? Wer schafft sich wie im Recht Gehör und Geltung? Wessen Geschichten werden beachtet, wessen Geschichten werden offiziell? Wie demokratisch ist das Konzert von Stimmen, mit denen das Recht sich beschäftigt? Neben der Literatur, die in historische Zusammenhänge und philosophische Gedanken einführt, gibt es die Literatur, die mit der gesellschaftlichen Vielfalt und ihrer Bedeutung für das Recht konfrontiert.
    Trotz der langen Tradition über Literatur schreibender Juristen steht die Beschäftigung mit Recht und Literatur in Deutschland noch am Anfang. Ihre größte Bedeutung, ihre größte Wirkung hat die Beschäftigung als Tor zu rechts-,

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