Red Rabbit: Roman
zurücknahm, ließ sogar Andropow das Blut in den Adern gefrieren. Jetzt galt auch für ihn, dass er sich in Acht zu nehmen hatte. Verbohrte Ideologen hatten nämlich häufig Probleme mit der Wirklichkeit, vor allem dann, wenn diese mit ihren Vorstellungen nicht übereinstimmen wollte.
»Michail Jewgeniewitsch, ein solches Vorgehen sollte nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Es könnte zu politischen Komplikationen führen.«
»Keine, die wir fürchten müssten, Juri, nein«, entgegnete Alexandrow. »Aber, zugegeben, wir sollten uns unsere Antwort auf diese Drohungen gründlich überlegen.«
»Was sagt Genosse Suslow? Haben Sie schon mit ihm gesprochen?«
»Mischa ist sehr krank«, antwortete Alexandrow ohne eine Spur des Bedauerns, was Andropow überraschte. Sein Gast verdankte
dem Kranken nämlich sehr viel. »Ich fürchte, es geht mit ihm zu Ende.«
Das konnte kaum überraschen. Wer ihn in letzter Zeit gesehen hatte, ahnte, dass es sehr schlecht um ihn bestellt war. Suslow hatte den verzweifelten Blick eines Mannes, der den Tod bereits vor Augen sah. Er wollte, bevor er abtrat, schnell noch die Welt in Ordnung bringen, spürte aber wohl, dass er dazu nicht in der Lage war. Und diese Einsicht traf ihn offenbar wie eine böse Überraschung. Hatte er endlich begriffen, dass der Marxismus-Leninismus ein Holzweg war? Für sich hatte Andropow diese Schlussfolgerung schon vor fünf Jahren gezogen. Doch das war kein Thema, das man im Kreml zur Diskussion stellte. Und auch nicht im persönlichen Gespräch mit Alexandrow.
»Er war über viele Jahre ein guter Genosse. Wenn es stimmt, was Sie sagen, wird er eine große Lücke hinterlassen«, bemerkte der KGB-Chef nüchtern und ging vor dem Altar der marxistischen Theorie und ihrem sterbenden Priester auf die Knie.
»So ist es«, bestätigte Alexandrow – ganz in Übereinstimmung mit seiner Rolle, die ihm als Mitglied des Politbüros zugeschrieben war. So gab er sich nicht aus Neigung, sondern weil man es nicht anders von ihm erwartete.
Der Mann vom KGB versuchte zu erraten, was sein Gast als Nächstes sagen würde. Andropow brauchte ihn, so wie er selbst für ihn, Alexandrow, unentbehrlich war. Michail Jewgeniewitsch hatte nicht die persönliche Macht, die nötig war, um Generalsekretär der KPdSU zu werden. Man respektierte ihn seiner Fähigkeiten und quasi religiösen Linientreue wegen, doch hielt ihn keiner der Genossen im Politbüro für einen wirklich geeigneten Anwärter auf das höchste Amt. Wie in feudalen Zeiten, als der Erstgeborene das Erbe antrat und der Zweitälteste zum Klerus überwechselte, waren auch heute die Weichen gestellt. Die Ordnungs- und Kontrollsysteme blieben sich letztlich immer gleich. Um für sich eine Ausnahme möglich zu machen, brauchte Andropow unter anderem Alexandrows Segen – wenn das denn das richtige Wort war.
»Wenn es so weit ist, werden natürlich Sie seinen Platz einnehmen«, sagte Andropow wie das Versprechen auf eine Allianz.
Alexandrow sträubte sich – oder tat zumindest so: »Es gibt viele gute Männer in der Partei.«
Der Vorsitzende des Komitees für Staatssicherheit machte eine abwehrende Handbewegung. »Aber keiner hat Ihr Format und genießt so viel Vertrauen wie Sie.«
Über seine außerordentlichen Qualitäten wusste Alexandrow selbst am besten Bescheid. »Nett, dass Sie das sagen, Juri. Kommen wir zurück zum Thema: Wie sollen wir auf diesen dummen Polen reagieren?«
Jetzt sollte also auch schon der Preis für die angebotene Allianz ausgehandelt werden. Um Alexandrows Unterstützung zu gewinnen, würde Andropow dem Genossen Chefideologe einen besonderen Gefallen tun müssen. Er wusste auch schon, wie dieser Gefallen aussehen mochte, denn das zu tun, hatte er ohnehin vor.
Der KGB-Chef schlug einen sachlichen, geschäftsmäßigen Tonfall an. »Wie gesagt, Genosse Mischa, eine solche Aktion sollten wir nicht übers Knie brechen. Im Gegenteil, sie will sehr gründlich und mit größter Vorsicht geplant sein, und letztlich muss sie noch vom Politbüro gebilligt werden.«
»Mir scheint, Ihnen schwebt da schon etwas Konkretes vor …«
»Ich habe mir natürlich schon einige Gedanken gemacht, aber von einem Plan kann noch nicht die Rede sein. Wir müssen sehr vorsichtig sein und dürfen nichts dem Zufall überlassen«, warnte Andropow. »Und es muss uns klar sein, dass selbst die gründlichste Planung noch keine Erfolgsgarantie ist. Wir planen keine Kinoproduktion. Die Wirklichkeit ist sehr
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