Red Rabbit: Roman
Professoren bedeutender Universitätskliniken –, die anhand solchen Bildmaterials ihre Diagnosen stellten. Die waren zwar nicht besonders zuverlässig, aber besser als gar nichts. Darüber hinaus verfasste der amerikanische Botschafter in Moskau nach jedem Kreml-Besuch einen Bericht über seine Gesprächspartner, in dem er auch Auskunft über seinen Eindruck von deren gesundheitlicher Verfassung gab. Es war schon von Seiten der CIA wiederholt vorgeschlagen worden, den Posten des Botschafters mit einem erfahrenen Arzt zu besetzen, was die zuständigen Regierungsstellen dann aber stets abgelehnt hatten. Unter der Regie der Abteilung für operative Maßnahmen waren allerdings schon häufiger Aktionen gestartet worden, die darauf abzielten, Urinproben von wichtigen ausländischen Staatsmännern zu sammeln. Im Blair House, das, gegenüber dem White House gelegen, häufig ausländische Gäste beherbergte, hatte man zu diesem Zweck ungewöhnliche Zapfanlagen installiert. Eine weitere Möglichkeit der Datenbeschaffung bestand darin, dass man Agenten überall auf der Welt in Arztpraxen einbrechen ließ. Aufschlussreich waren nicht zuletzt auch einschlägige Gerüchte, die in den jeweiligen Ländern kursierten. All diese Hinweise hatten Gewicht, spielte doch die Gesundheit eines Menschen stets eine große Rolle in dessen Denk- und Entscheidungsprozessen. Was aber den Wert dieser Hinweise anging, so waren die drei im Raum versammelten Männer – Moore, Ritter und Greer – äußerst skeptisch. Ein oder zwei Zigeuner mit hellseherischen Fähigkeiten einzustellen, so hatten sie einmal bei anderer Gelegenheit gewitzelt, käme am Ende billiger und wäre im Ergebnis ebenso zuverlässig wie die Gutachten hoch dotierter Fachleute. Tatsächlich hatte man gerade in Fort Meade, Maryland, eine Operation unter dem Decknamen STARGATE gestartet, mit der untersucht werden sollte, ob und inwieweit Personen mit paranormalen Fähigkeiten für den Geheimdienst einsetzbar waren. Angeregt worden war dieser Versuch durch die Erkenntnis, dass der sowjetische Geheimdienst ebensolche Leute für sich arbeiten ließ.
»Wie krank ist er?«, fragte Moore.
»Nach meinem Eindruck schafft er es nicht einmal mehr bis Weihnachten. Es heißt, dass er an einer akuten Herzinsuffizienz leidet. Wir haben ein Foto, auf dem es so aussieht, als würde er eine Nitrokapsel zerbeißen. Wie auch immer, um den Roten Mike steht’s ziemlich schlecht«, schlussfolgerte Greer, Suslow bei dessen im Haus gebräuchlichen Spitznamen nennend.
»Und Alexandrow wird an seine Stelle treten? Was für ein Wechsel!« , schnaubte Ritter. »Noch so ein frommer Marx-Apostel.«
»Es können schließlich nicht alle Baptisten sein, Robert«, bemerkte Arthur Moore.
»Das hier kam vor ungefähr zwei Stunden per Fax aus London«, sagte Greer und reichte einen Stoß Papier herum, hielt aber einige Seiten zurück. »Könnte interessant sein«, fügte er hinzu.
Bob Ritter war ein schneller Leser, und das in mehreren Sprachen. »Ach, du Schande!«
Judge Moore ließ sich Zeit, was einem Richter wohl auch anstand. Zwanzig Sekunden später als der DDO platzte es aus ihm heraus: »Um Himmels willen!« Und nach einer Pause: »Von unseren Quellen war darüber nichts zu erfahren?«
Ritter rutschte auf seinem Sessel hin und her. »Das dauert seine Zeit, Arthur, und die Foleys sind ja gerade erst angekommen.«
»Ich vermute, wir werden in dieser Sache von KARDINAL hören.« Es kam nur selten vor, dass der Agent dieses Decknamens angesprochen wurde. Im Pantheon der CIA-eigenen Kronjuwelen war er der wertvollste Diamant überhaupt.
»Das wird hoffentlich der Fall sein, wenn sich Ustinow dazu äußert, wovon auszugehen ist. Wenn sie darauf reagieren…«
»Werden sie reagieren? Was meinen Sie, meine Herren?«, fragte der DCI.
»Mit Sicherheit werden sie einen Gegenschlag zumindest in Erwägung ziehen«, antwortete Ritter spontan.
»Sie würden allerdings einiges dabei riskieren«, stellte Greer nachdenklich fest. »Ob’s der Papst darauf anlegt? Es kommt nicht alle Tage vor, dass sich jemand vor den Tiger stellt, die Käfigtür aufmacht und ihm die Zunge rausstreckt.«
»Ich werde morgen dem Präsidenten davon berichten.« Moore dachte einen Moment lang nach. Sein allwöchentlicher Besuch im White House war auf zehn Uhr am nächsten Morgen terminiert.
»Der Nuntius ist zurzeit nicht in der Stadt, nicht wahr?« Seine Gesprächspartner wussten auch nicht Bescheid. Er würde sich an anderer
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