Red Rabbit: Roman
komplex, Genosse Mischa.« Deutlicher hätte der Ratschlag an Alexandrow kaum sein können: Er sollte gefälligst in seinem Sandkasten aus Theorien und Förmchen bleiben. Für die wirkliche Welt aus Blut und Konsequenzen war er, Andropow, zuständig.
»Nun, Sie sind ein kluger Parteigenosse. Sie wissen, was auf dem Spiel steht.« Mit diesen Worten wiederum teilte Alexandrow seinem Gegenüber mit, was das Sekretariat von ihm erwartete. Für Michail Jewgeniewitsch waren die Partei und ihre Glaubenssätze der Staat, während das KGB Schwert und Schild der Partei darstellte.
Der polnische Papst, befand Andropow, war von seinen Glaubensvorstellungen und Ansichten der Welt womöglich ähnlich überzeugt. Konnte man auch ihn als Chefideologen bezeichnen? Warum eigentlich nicht? dachte Juri Wladimirowitsch. Eine solche Auslegung passte ihm recht gut in den Kram.
»Meine Leute werden sich die Angelegenheit gründlich durch den Kopf gehen lassen. Wir sollten uns auf das beschränken, was wirklich möglich ist.«
»Was könnte Ihnen und Ihrem Büro denn schon unmöglich sein?« Alexandrows rhetorisch gemeinte Frage war gefährlicher, als er ahnte.
Wie sehr sie doch einander ähnelten, dachte der KGB-Chef. Der eine, der da so selbstzufrieden an seinem braunen Starka nippte, glaubte mit absoluter Zuversicht an eine Ideologie, deren Gültigkeit in den Sternen stand. Und er wünschte sich den Tod eines Mannes, der ganz ähnlich gutgläubig war. Wirklich sonderbar: ein Kampf der Ideen aus Furcht vor der jeweils anderen. Furcht? Wovor hatte Karol Angst? Gewiss nicht vor seinem Tod. Davon war in seinem Brief an Warschau mit keinem Wort die Rede. Im Gegenteil, er schien geradezu erpicht auf seinen Tod zu sein. Er suchte das Martyrium. Wie war so etwas möglich? wunderte sich der Vorsitzende. Was versprach der Papst sich davon, sein Leben oder Sterben als Waffe gegen den Feind einzusetzen? Kein Zweifel, als seinen Feind betrachtete er sowohl Russland als auch den Kommunismus, und zwar aus patriotischen wie aus religiösen Gründen. Aber fürchtete er diesen Feind überhaupt?
Nein, wahrscheinlich nicht. Davon war auszugehen, und das machte Andropows Aufgabe umso schwieriger. Er und seine Leute brauchten die Furcht anderer, um an ihr Ziel zu gelangen. Furcht war die Quelle ihrer Macht. Jemand, der keine Furcht hatte, war gegen Manipulation immun …
Doch wer nicht manipuliert werden konnte, ließ sich immerhin noch töten. Und wer erinnerte sich denn noch zum Beispiel an einen Leo Trotzki?
»Uns ist nur Weniges wirklich unmöglich. Aber manches bleibt schwierig«, antwortete der Vorsitzende schließlich.
»Und Sie werden Ihre Möglichkeiten ausloten?«
Andropow nickte vorsichtig. »Ja, wir werden gleich morgen damit anfangen.« Und so geriet die Sache ins Rollen.
3. Kapitel
ERKUNDUNGEN
»Jack hat seinen Schreibtisch in London bezogen«, meldete Greer seinen Kollegen im siebten Stock.
»Gut zu hören«, sagte Bob Ritter. »Ob er ihn auch zu nutzen weiß?«
»Bob, was haben Sie eigentlich gegen Ryan?«, fragte der DDI.
»Ihr blonder Junge macht für meinen Geschmack ein bisschen zu schnell Karriere. Er wird eines Tages zu stolpern anfangen, und dann haben wir den Salat.«
»Wär’s Ihnen lieber, ich würde ihn auf irgendein Abstellgleis schicken und da versauern lassen?« Es war nicht das erste Mal, dass James Greer auf Ritters Nörgelei über Größe und Machtfülle der Nachrichtenabteilung antworten musste. »Sie haben in Ihrem Laden doch auch ein paar aufgehende Sterne. Ryan hat viel auf dem Kasten. Ich werde ihn laufen lassen, bis er vor die Wand prallt.«
»Ja, ich höre ihn schon aufklatschen«, knurrte der DDO. »Okay, womit will er denn unsere britischen Cousins beeindrucken?«
»Mit dem Gutachten über Michail Suslow, das die Ärzte vom Johns-Hopkins-Krankenhaus erstellt haben, die nach Moskau geflogen sind, um seine Augen zu operieren.«
»Kennen die das denn nicht schon längst?«, fragte Judge Moore. Das besagte Dokument war schließlich nicht besonders geschützt, geschweige denn unter Verschluss.
»Ich vermute, sie haben nie danach gefragt. Allem Anschein nach wird’s Suslow ohnehin nicht mehr lange machen.«
Die CIA kannte diverse Methoden, wenn es darum ging, den Gesundheitszustand eines sowjetischen Politikers einzuschätzen.
Für gewöhnlich wurden zu diesem Zweck Fotografien oder, besser, Filmsequenzen der betreffenden Politiker ausgewertet. Die Agency beschäftigte Ärzte – fast durchweg
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