Red Rabbit: Roman
jederzeit als Einheimische durchgehen. Sie war sogar imstande, je nach Region auf einen anderen Dialekt umzuschalten. Sie konnte sich als Lyrikprofessorin an der Moskauer Staatsuniversität ausgeben, und sie war hübsch, und hübsche Frauen waren immer im Vorteil. Es zählte zu den ältesten aller Vorurteile, dass jemand, der attraktiv war, auch gut sein musste und dass böse Menschen hässlich waren, weil sie hässliche Dinge taten. Vor allem Männer gingen hübschen Frauen leicht auf den Leim. Andere Frauen wiederum nicht in dem Maße, weil sie die Hübschen um ihr Aussehen beneideten, obwohl auch sie instinktiv nett zu ihnen
waren. Für Mary Pat brachte es viele Vorteile mit sich, dass sie eine typische hübsche Amerikanerin war, der Inbegriff der geistlosen Blondine. Schließlich galten Blondinen auf der ganzen Welt als dumm, sogar hier in Russland, wo sie keineswegs selten waren. Die russischen Blondinen waren es wahrscheinlich von Natur aus, weil die einheimische Kosmetikindustrie etwa so fortgeschritten war wie die im Madjarenland des zwölften Jahrhunderts, und Clairol Blond Nr. 100 G war in russischen Drogerien äußerst schwer zu finden. Nein, die Sowjetunion kümmerte sich wenig um die Bedürfnisse ihrer weiblichen Bevölkerung, was Foley zur nächsten Frage führte: Warum hatten die Russen nach nur einer Revolution aufgehört sich zu erheben? In Amerika wäre bei der mangelnden Auswahl an Bekleidung und Kosmetika, die den Frauen hier zur Verfügung standen, der Teufel los gewesen…
Die U-Bahn hielt an Foleys Station. Er kämpfte sich zur Tür durch und ging zum Lift. Auf halbem Weg nach oben gewann seine Neugier die Oberhand. Er rieb sich die Nase, als müsse er gleich niesen, und kramte in seiner Tasche nach einem Taschentuch. Er putzte sich damit die Nase und steckte es in die Manteltasche, die, wie er feststellte, leer war. Was hatte dieser Kerl also gewollt? Er hatte keine Ahnung. Nichts weiter als ein dummer Zufall in einem Leben voller Zufälle?
Aber Edward Foley war nicht dazu ausgebildet worden, alles Mögliche auf Zufälle zurückzuführen. Er würde seinen gewohnten Tagesablauf beibehalten und darauf achten, dass er mindestens eine Woche lang jeden Tag genau diese U-Bahn nahm, einfach um zu sehen, ob sich der Vorfall wiederholte.
Albert Byrd schien ein kompetenter Augenchirurg zu sein. Er war kleiner und älter als Jack Ryan. Er hatte einen schwarzen Bart, mit Andeutungen von Grau. Es gab in England viele solche Bärte, wie Cathy aufgefallen war. Und Tätowierungen. Mehr, als sie je zuvor gesehen hatte. Professor Byrd war ein versierter Kliniker, geschickt im Umgang mit seinen Patienten, und ein äußerst fähiger Chirurg, der die Zuneigung und das Vertrauen des Pflegepersonals genoss – immer das Zeichen, dass jemand ein guter Arzt war, wusste Cathy. Er schien auch ein guter Lehrer zu sein, aber das meiste, was er Cathy beibringen konnte, wusste sie bereits, und in Sachen Lasertherapie
kannte sie sich besser aus als er. Der Argonlaser, den sie hier hatten, war zwar neu, aber nicht so neu wie der im Hopkins, und es würde zwei Wochen dauern, bevor sie auch nur einen einzigen Xenon-Bogenlaser bekämen, mit dem im Wilmer Eye Institute des Hopkins-Krankenhauses niemand besser umzugehen verstand als sie.
Ein echtes Trauerspiel waren die Räumlichkeiten. In Großbritannien lag die ärztliche Versorgung ausschließlich in den Händen des Staates. Alles war kostenlos – und wie überall auf der Welt bekam man das, wofür man zahlte … Die Wartezimmer waren ausgesprochen schäbig, was Cathy auch geradeheraus beanstandete.
»Ich weiß«, antwortete Professor Byrd müde. »Aber das ist hier nicht so wichtig.«
»Der dritte Fall, den ich heute Morgen hatte, diese Mrs Dover … Sie steht schon elf Monate auf der Warteliste – und das für eine Kataraktuntersuchung, für die ich nicht länger als zwanzig Minuten gebraucht habe. Mein Gott, Albert, bei uns in den Staaten bräuchte ihr Hausarzt nur meine Sekretärin anzurufen, und drei oder vier Tage später hätte sie einen Termin. Ich arbeite im Hopkins sicher viel, aber so viel auch wieder nicht.«
»Was würden Sie dafür verlangen?«
»Dafür? Ach … zweihundert Dollar. Da ich am Wilmer Assistenzprofessorin bin, werde ich etwas höher eingestuft als ein junger Arzt.« Aber sie war, was sie allerdings nicht sagte, auch um einiges versierter, wesentlich erfahrener und deutlich schneller bei der Arbeit als ein durchschnittlicher Arzt.
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