Red Rabbit: Roman
Amerikaner.
Foley gestattete nicht einmal seinen Augen, sich von dem Eishockeyartikel abzuwenden, den er gerade las. Wäre er in New York oder einer anderen westlichen Stadt gewesen, hätte er gedacht, dass gerade jemand versuchte, ihn zu bestehlen. Davon ging er hier
jedoch sonderbarerweise nicht aus. Sowjetische Bürger durften keine westliche Währung besitzen, weshalb sie sich eigentlich nur Ärger einhandelten, wenn sie einen Amerikaner auf offener Straße ausraubten oder heimlich zu bestehlen versuchten. Und jemand vom KGB – denn wahrscheinlich wurde er immer noch beschattet – täte so etwas bestimmt nicht. Wenn sie ihm seine Brieftasche klauen wollten, würden sie normalerweise, wie amerikanische Taschendiebe, zu zweit vorgehen – einer, der das Opfer aufzuhalten und abzulenken versuchte, der andere, der es bestahl. So funktionierte es fast immer, es sei denn, man war besonders wachsam, und über lange Zeit besonders wachsam zu sein war ziemlich viel verlangt, selbst für einen guten, professionellen Spion. Deshalb griff man tunlichst auf passive Schutzmaßnahmen zurück und schlang zum Beispiel ein, zwei Gummis um die Brieftasche – simpel, aber sehr wirksam und einer der Tricks, die man auf der »Farm« beigebracht bekam, handwerkliches Rüstzeug, das einen nicht sofort als Spion überführte. Die New Yorker Polizei riet ausdrücklich zu dieser Maßnahme, und er wollte schließlich wie ein Amerikaner erscheinen. Da er einen Diplomatenpass und eine »legale« Tarnung hatte, war seine Person theoretisch unantastbar. Natürlich nicht unbedingt für einen Ganoven auf der Straße. Und weder der KGB noch das FBI waren sich zu schade, jemanden durch einen gründlich ausgebildeten Ganoven aufmischen zu lassen, wenn auch innerhalb sorgfältig festgelegter Parameter, damit das Ganze nicht außer Kontrolle geriet. Das waren Zustände, die den byzantinischen Kaiserhof im Vergleich als geradezu harmlos erschienen ließen, aber Ed Foley stellte die Regeln nicht auf.
Diese Regeln gestatteten ihm jetzt auch nicht, in seine Tasche zu greifen oder in irgendeiner Weise zu erkennen zu geben, dass er mitbekommen hatte, dass dort jemandes Hand gewesen war. Vielleicht hatte ihm jemand einen Zettel zugesteckt – vielleicht einen Hinweis auf den Wunsch überzulaufen. Aber warum gerade ihm? Seine Tarnung war angeblich absolut wasserdicht, es sei denn, da hatte jemand in der Botschaft geschickt kombiniert und ihn dann verpfiffen … Doch nein, selbst dann hätte der KGB seine Deckung nicht so schnell verlassen. Man würde ihn mindestens ein paar Wochen beobachten, nur um zu sehen, worauf er seine Gegner sonst noch stoßen mochte. Der KGB ging in solchen Fällen sehr
viel raffinierter vor. Nein, es war ziemlich unwahrscheinlich, dass jemand vom Zweiten Hauptdirektorat seine Manteltasche durchsucht hatte. Und ein Taschendieb auch nicht. Wer dann? fragte sich Foley. Er würde Geduld brauchen, um das herauszufinden, und Geduld war etwas, das Foley durchaus besaß. Er las weiter in seiner Zeitung. Wenn es jemand war, der mit ihm ins Geschäft kommen wollte, warum sollte er ihn dann abschrecken? Zumindest konnte er sich jetzt erst einmal sehr schlau vorkommen. Es war immer gut, anderen Leuten die Möglichkeit zu geben, sich schlau vorzukommen. Dann machten sie weiter Fehler.
Noch drei Haltestellen, bis er aussteigen musste. Foley hatte von Anfang an gewusst, dass es sehr viel vorteilhafter war, die Metro zu nehmen, als mit dem Wagen zu fahren. Der Mercedes fiel hier einfach zu sehr auf. Damit erregte zwar auch Mary Pat Aufsehen, aber sie betrachtete das eher als Vorteil denn als Nachteil. In puncto Spionage hatte seine Frau einen hervorragenden Riecher, aber ihre Unerschrockenheit war ihm oft nicht ganz geheuer. Es hatte nicht so sehr damit zu tun, dass Mary Pat Risiken einging. Das tat jeder Angehörige des DO. Was ihm manchmal Sorgen machte, war der Umstand, dass sie regelrecht Gefallen daran fand. Für ihn gehörte es einfach zu seinem Job, sich mit den Russen einzulassen. Etwas rein Geschäftliches, wie Don Vito Corleone es ausgedrückt hätte, nichts Persönliches. Für Mary Patricia war es dagegen wegen ihres Großvaters etwas sehr Persönliches.
Schon bevor sie sich in Fordham bei der Student Union und dann wieder am Schreibtisch des CIA-Werbers begegnet waren, hatte sie förmlich danach gegiert, für die CIA zu arbeiten, und bald danach hatte es zwischen ihnen gefunkt. Russisch sprach sie ja bereits. Sie konnte
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