Rede, dass ich dich sehe
eines jungen Mannes, knapp über zwanzig, auf den Redaktionstisch gerieten, die sich von allem unterschieden, was mir bis dahin untergekommen war. Ihre drastische Redeweise – Worte zueinandergerückt in waghalsigen, pathetischen Formationen, deren Perioden sich oft galoppierend lustig und paradox in extreme Assoziationen überschlugen, so daß alltägliche Szenerie und große Historie forciert unmit
telbar nebeneinander in die Zeilen gerieten, Redensarten und Sprüche – heute sagt man »Slogans« –, die tatsächlich Verse ergaben, Phrasen und Zitate, die zu bis dahin nicht vernommenen Metaphern wurden, die der Autor seitdem, heute seiner Sache längst gewiß –
C Es genügt nicht die einfache Wahrheit –
G – souverän ausgebaut hat:
Ich Hans Arsch Märtyrer Dichter Held
Wer kennt sich selbst Hier ändre ich die Welt
Hier kann ich es Wer weiß was er vermag
Und was du tust sagt erst der andre Tag
C Das war Ein bodenloser Satz, lieber Volker, einer von mehreren, die wir gerne zitieren, manchmal schleicht sich ans Satzende im Lauf der Jahrzehnte anstatt des Ausrufezeichens ein Fragezeichen: »Hier ändre ich die Welt?« Vershaltig, prosaisch, stückweis bist du bei uns anwesend, öfter auch »leibhaftig«, ihr wohnt ja gleich um die Ecke, du und Anne, habt euch uns seit langem, auch in kritischen Tagen, als Freunde geöffnet, übrigens auch briefweis: Das werden sie uns büßen, die Angsthasen!, schreibst du mir, erbost über eine zu niedrige Auflage eines meiner Bücher. Es ist schon so: Wir haben Volkers Texte parat oder wissen, wo wir nachschlagen müssen –
G
– um zum Beispiel mit ihm zu sagen:
C
Ich den alles trifft und der alles vergißt
Mit einer furchtbaren Hoffnung bewaffnet …
G
Ich der alles trifft und den alles vergißt
Mit dieser offenen Wunde in den Gedanken.
C Schmerzhafte Dialektik, ja, da kennt er sich aus, grimmiges Gelächter hat nicht zuletzt er uns gelehrt, er, der sich mit seinen Texten dem Angriff der Zeit aussetzt wie kaum einer, der seine Ziele hoch steckt und sie zugleich, wie jeder wahrhaftige Autor, ständig anzweifelt, sich selbst und uns Rede und Antwort steht über Die Rolle, die jeder von uns spielte , schon seit Provokation für mich, seinem ersten Gedichtband, als er, auf seine Weise, auch unseren Stoff zum Leben fand –
G – so daß man sich, über schwierige Verse hinweg, mit einem Blick verständigen konnte, wenn wir uns fragten, Wie es gekommen ist , und er, Volker Braun, Nach dem Massaker der Illusionen weiter fragt:
Wie lange hält uns die Erde aus
Und was werden wir Freiheit nennen
C Aus dem dogmatischen Schlummer geweckt
G Du träumst, nicht wahr, du träumst mit Konsequenz
So könnten wir uns die Bälle weiter zuwerfen. Es ist schon so: Ich könnte nahezu ein halbes Jahrhundert des 20. und auch das erste Jahrfünft des 21. Jahrhunderts mit Volker Brauns Versblöcken pflastern, die er in ganz bestimmte Strecken eingeschlagen hat und die nun wie Granitfindlinge aus all den Jahren unseren Weg markieren.
C Die immer noch Stolpersteine sind, Steine des Anstoßes, weil sie zu ihrer Zeit gesellschaftliche Zustände mit einem Satz, mit einem Schlag trafen. Von welchem zeitgenössischen Dichter könnte man das schon sagen.
G Texte verschiedener Genres, geschrieben Gegen die symmetrische Welt , deren Stoßrichtung nach Hölderlin nicht nur auf eine Schwachstelle in unserer Zivilisation, sondern auf eine »Menschenharmonie« zielte. »Aber die Besten unter den Deutschen«, sagt Hölderlin, »meinen meist noch immer, wenn nur erst die Welt hübsch symmetrisch wäre, so wäre alles geschehen«, und Braun antwortet – schon 1966, und es gilt noch heute: Der technische und der ideologische Fortschritt können nicht mehr so kraß auseinanderklaffen, wenn die gesellschaftliche Entwicklung bewußt und alle dienlichen Tätigkeiten nutzend vollzogen wird. Wenn sie harmonischer wird, nicht einseitig und aus Verlegenheit auf einzelnen Gebieten hypertrophierend.
C Wir und nicht sie , forderte Volker, was hieß, wir sollten uns üben im Training des aufrechten Ganges , wie die Rechtfertigung des Philosophen – wir wissen, wen er meinte – es dringlich erhoffte.
Was immer kommt ist besserschlechter oder als
Was mir die Augen öffnet, nicht die Lippen.
G Auftritt Hinze und Kunze – noch immer unter uns, das Marketing gelernt und die Automarke gewechselt, dauerhafte Gestalten. Und:
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