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Rede, dass ich dich sehe

Rede, dass ich dich sehe

Titel: Rede, dass ich dich sehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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Auch Merkmale der Übergangsgesellschaft erkennen wir wieder –
    C  – und wieder sehen wir, der Große Frieden steht noch immer in den Sternen –
    G – und Die Verhältnisse zerbrechen gelingt uns so wenig, wie Georg Büchner es vor mehr als anderthalb Jahrhunderten schon wußte –
    C  so daß wir, Nach Lage der Dinge , nur wiederholen können:
    Auf dem gefährlichen Boden, wo man Stellung bezieht,
    wo Absichten wurzeln, wo ein Narr die Arbeit macht,
    der scheitern will, und Gelingen ist Scheitern.
    G   Aber der Narr will nicht nennt just – Zufall? – sein Kollege Christoph Hein seinen neuen Essaiband.
    Lustgarten. Preußen hat Volker Braun eine strenge Auswahl seiner Gedichte genannt – wir hätten sie weit umfangreicher angelegt –, sie stehen nun zum Vergleich mit denen, die von Peter Hacks oder Rainer Kirsch als »Kunst in der Mark Brandenburg« gesehen werden. Volkers Verse sind offener und sarkastischer, ohne Konkurrenzgetändel, ohne Sottisen.
    C  Ein Gedicht ist dabei, das mir für den vom Feuilleton so dringlich gewünschten Wenderoman gilt –
    G – Das Eigentum , ein Gedicht, das, von Vers zu Vers sich steigernd, in lauter Hauptsätzen nichts als Klartext redet, der stehen bleiben wird als Zeugnis für eine Epochenwende, da Der Planwagen der Händlerin Und der Eisenwagen der Genossen aufeinander stießen:
    C   Was ich niemals besaß wird mir entrissen.
    G   Was ich nicht lebte, werd ich ewig missen.
    C   Die Hoffnung lag im Weg wie eine Falle.
    G   Mein Eigentum, jetzt habt ihrs auf der Kralle.
    C   Wann sag ich wieder mein und meine alle.
    G   Schreiben im Schredder – einst und jetzt, eine nüchterne Feststellung. Nicht durch widrige Zeitumstände, nicht durch Verführung zu künstlerischer Attitüde hat Volker sich davon abbringen lassen, sein Terrortorium präzis zu vermessen –
    C  – immer mit spitzem Fuss auf dem Weltriss , das ist sein Ort, immer mit Blick auf die verstreuten, tätigen Gefährten . – Wir sind aus solchem Stoff, wie Akten sind , schrieb er mir einmal aus gegebenem Anlaß, und: Darum müssen wir aufeinander achtgeben.
    G  Wir kommen zum Ende.
    C  Sind wir ihm gerecht geworden? Haben wir ihn, zum Beispiel, als sinnlichen Autor genügend gewürdigt? Als wirklichen sinnlichen Menschen?
    Der Stoff zum Leben, der nach Liebe schmeckt
    Und Salz und Tod, ich habe ihn geleckt.
    G  So sagt er, mit großer Gebärde, um schon auf der nächsten Seite einen Tagtraum zwischen Nord und Süd – und auch unser Zwiegespräch – also zu beschließen:
    Der Lorbeer bloßen Wollens hat nie gegrünt!
    Und irrdisch ist und fahrlässig unsre Bahn
    Ich muß auf eine Seite, muß es.
    Aber ich ahne nur meine Worte.
    Damit, mit unserer sträflichen Liebe auf frischer Tat beenden wir für heute unser Gespräch –
    C  – und überlassen Volker Die Heidenarbeit gegen den Schnee der Verse .
     
    2004

Autobiographisch schreiben
    Zu Günter Grass' Beim Häuten der Zwiebel
    Unverhüllt autobiographisches Schreiben ist unter den vielfältigen Schreib-Möglichkeiten zugleich die leichteste und die schwerste: leicht, weil der oder die Schreibende sich im Stoff bewegt wie der Fisch im Wasser; weil alles bekannt, vertraut ist, nichts erfunden werden muß (oder darf) – vielleicht, daß, um des lieben Friedens willen, einige Namen verändert, einige Handlungsorte verschleiert werden. Aber man schöpft aus der Fülle.
    Das schwerste ist es, weil es, soll es gelingen, bekennendes Schreiben sein muß, was meistens heißt: Es muß weh tun. Es muß mühsam sein. Es muß an die Nieren gehen. Es wird von Krisen begleitet sein, nicht nur von den unvermeidlichen Schreib-Krisen, sondern von Persönlichkeitskrisen, von Selbstzweifeln, die den Kern des eigenen Selbstverständnisses betreffen; nicht zuletzt aber von der Hemmung, das, was man sich selbst eingesteht, was man endlich ausgesprochen hat, nun auch der Öffentlichkeit auszusetzen.
    Daß man das schließlich immer wieder wagt, läßt sich unter anderem durch einen merkwürdigen, in den Genen von Autoren anscheinend angelegten Vorrat von Naivität erklären, der sich offenbar immer wieder auffüllt und den Autor, die Autorin trotz aller gegenteiligen Erfahrung letzten Endes, unbewußt natürlich, immer wieder, indem sie ihr Buch veröffentlichen, auf ein Wunder hoffen läßt, auf Verständnis.
    Ich spreche also von Günter Grass, der beim Häuten der Zwiebel sich selbst häutet und seine Haut zu Markte trägt – so

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