Redwall 01 - Der Sturm auf die Abtei
sich mit ihrer Armee in der Mine niederlassen. Die Dachse und anderen Lebewesen, denen die Mine gehörte, jagten sie fort. Cluny kehrte in der Nacht zurück und zernagte mit seiner Rattenbande einen Großteil der Stützbalken, wodurch am nächsten Tag die Decke einstürzte und die Bewohner der Mine unter sich begrub.‹« Bruder Methusalem schloss das Buch und sah die Versammlung über seine Brille hinweg an. »Ich brauche gar nicht weiterzulesen, andere Missetaten habe ich im Kopf. In den letzten sechs Jahren ist Cluny die Geißel mit seiner Horde gen Süden gezogen und so sind mir weitere Zwischenfälle zu Ohren gekommen: ein Bauernhof, der in Brand gesteckt wurde; später dann, im selben Jahr … da ist ein ganzer Wurf Ferkel bei lebendigem Leibe von Ratten aufgefressen worden … Seuchen und Krankheiten wurden von Clunys Armee auf die Viehherden übertragen. Dann war da noch ein Bericht, den ich vor zwei Jahren von einem Hund aus der Stadt erhielt: Da hatte eine Rattenarmee eine Rinderherde in Panik versetzt und durch ein Dorf getrieben. Der Schaden, den sie mit dem Durcheinander anrichteten, war gewaltig.«
Methusalem hielt inne und blinzelte über seine Brille hinweg. »Und da wagt ihr es, an den Worten eures Abtes zu zweifeln, und behauptet, es gäbe Cluny die Geißel gar nicht? Was für dumme Mäuse ihr doch seid!«
Methusalems Worte lösten bei den Anwesenden große Betroffenheit aus. So mancher knabberte aufgeregt an seinen Pfoten. Keiner konnte daran zweifeln, dass er die Wahrheit sagte; er war ja schon alt und weise gewesen, als der Älteste unter ihnen noch als ein nacktes, blindes Würmchen wimmernd und winselnd bei seiner Mutter um Nahrung gebettelt hatte.
»Ach du heiliges Schnurrhaar, da können wir uns auf was gefasst machen!«
»Sollten wir nicht lieber zusammenpacken und abhauen?«
»Vielleicht tut Cluny uns ja gar nichts.«
»Oje, oje, was machen wir denn jetzt bloß?«
Matthias sprang plötzlich in ihre Mitte und schwang drohend seinen Stock.
»Machen?«, rief er. »Ich sage euch, was wir machen werden. Wir werden bereit sein!«
Der Abt schüttelte bewundernd sein Haupt. Anscheinend steckte mehr in Matthias, als er gedacht hatte.
Er bedankte sich bei Matthias. »Das hätte ich auch nicht besser sagen können. Genau das ist es, was wir tun werden. Wir werden bereit sein!«
8
Cluny die Geißel hatte Albträume.
Er hatte es sich im Bett der Kirchenmäuse bequem gemacht, um eine wohlverdiente Ruhepause einzulegen, während seine Soldaten den ihnen zugewiesenen Aufgaben nachgingen. Er hätte sich niemals mit leerem Magen hinlegen sollen, aber die Müdigkeit war stärker als der Hunger.
In seinem Traum sah Cluny alles wie durch einen roten Schleier. Er hörte die Schreie seiner Opfer und sah, wie Scheunen in Flammen aufgingen und Schiffe bei Sturm im blutroten Meer versanken. Er hörte das qualvolle Brüllen von Rindern, während er mit dem Hecht kämpfte, durch den er sein Auge verloren hatte. Der Kriegsherr schlug wie ein Wilder um sich, tötete, besiegte und zerstörte alle, die ihm in seinem Traum begegneten.
Dann erschien das Phantom.
Zunächst schien es ganz klein zu sein, wie eine Maus, gehüllt in ein langes Gewand mit Kapuze. Cluny war es unbehaglich bei ihrem Anblick – er konnte nicht sagen, warum – und die Maus kam immer näher. Zum ersten Mal in seinem Leben machte er kehrt und rannte davon.
Cluny raste los, als wenn der Teufel hinter ihm her wäre. Als er sich umsah, konnte er sehen, wie viel Blut, Tod und Elend er als Kriegsherr über das Land gebracht hatte. Der große Rattenmann lachte wie ein Irrsinniger und lief noch schneller, weiter und immer weiter, vorbei an all der Verwüstung und Zerstörung, die er, Cluny die Geißel, verursacht hatte. Während er durch den roten Nebel trieb, konnte er immer noch die merkwürdige Maus sehen, die ihm hart auf den Fersen war. Cluny spürte, dass er seinen Verfolger aus tiefster Seele hasste. Er schien viel größer geworden zu sein, seine Augen waren kalt und zornig. In seinem Innern wusste Cluny, dass nicht einmal er diese eigenartig gekleidete Maus erschrecken konnte. Jetzt schwang sie ein großes, glänzendes Schwert, eine uralte Waffe von schrecklicher Schönheit. Auf der Klinge, die in zahlreichen Kämpfen viele Scharten davongetragen hatte, stand ein Wort, das er nicht genau entziffern konnte.
Der Schweiß tropfte von Clunys Klauen wie beißende Säure. Er stolperte. Die seltsame Gestalt war sehr nahe; sie war
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