Reich der Schatten
Macht bewusst. Und sie kam näher, immer näher.
Tara zwang sich, klar zu denken. Und als Louisa direkt vor ihr stand und ihr die Hände auf die Schultern legte, um sie an sich zu ziehen und ihren Hals freizulegen, griff Tara rasch nach einer ihrer letzten Waffen: einer kleinen Farbspritzpistole, mit Weihwasser gefüllt.
Sie zielte direkt auf Louisas Gesicht.
Louisa schrie und kreischte wie tausend Todesfeen. Sie presste die Hände vors Gesicht und rief wutentbrannt: »Tötet sie! Tötet sie!«
Wieder erhob sich das Flattern, wurde lauter, umgab Tara, die wie wild herumwirbelte und ihre Spritzpistole blindlings abfeuerte.
Aber damit verzögerte sie das Ganze nur. Sie konnte diesen Kampf nicht gewinnen, die Schatten rückten immer näher. Schreie wurden laut, verebbten, Hände legten sich auf sie, zogen und zerrten an ihr.
Doch plötzlich wurde einer ihrer Gegner von ihr fortgerissen. Donnernd landete ein Körper an der gegenüberliegenden Wand. Dann ein zweites Geräusch …
Der Kopf, der nach dem Körper gegen die Wand donnerte.
Sie drehte sich um, die Finger noch immer am Abzug der Spritzpistole.
»Ziel nicht auf mich!« ertönte ein Befehl, und sie wirbelte in die Richtung, aus der er gekommen war.
Sie war nicht mehr allein. Lucian war da.
Er hatte sie aus dem Griff des Bärtigen befreit, der nun zerstückelt auf dem Boden lag. Sie hatte eine Verschnaufpause gewonnen und konnte ihr Schwert wieder an sich nehmen, während sich Lucian den nächsten Gegner vorknöpfte. Sie wollte nicht zusehen, wie er die Frau beseitigte.
Stattdessen bückte sie sich, ergriff ihr Schwert und lief geduckt weiter, um den Pfahl zu holen. Über ihrem Kopf kreiste eine der Frauen. Sie drehte sich um und erblickte noch ein anderes Geschöpf, das sie wie ein Zombie verfolgte. Doch als sie ihr Schwert hob, packte eine Hand sie am Arm. Sie drehte sich entsetzt um.
Es war Lucian.
»Nein«, sagte er leise. »Er lebt noch.«
Er trat vor und schlug dem jungen Mann die Faust ins Gesicht. Der Junge brach zusammen und rührte sich nicht mehr.
Nun war es ruhig geworden in dem Raum bis auf eine Gestalt, die am Boden lag und leise stöhnte. Lucian nahm Tara das Schwert aus der Hand und köpfte das Geschöpf mit einem einzigen, kräftigen Hieb.
Tara stand da und zitterte. Lucian sah sich um. »Sie ist weg. Sie hat es doch tatsächlich geschafft zu fliehen«, erklärte er verbittert.
Dann ging er zur Tür. »Kommst du mit?«
Jacques sah nicht gut aus, und Katia jammerte noch immer leise vor sich hin. Doch Jade DeVeau blieb auf ihrem Posten, auch wenn ihr sämtliche Muskeln wehtaten. Sie war bereit. Auf dem Schreibtisch vor ihr standen zahllose Gefäße mit Weihwasser. Sie hatte auch Fackeln besorgt, falls sie sich mit Feuer verteidigen musste. Außerdem hatte sie ein paar Stühle zerhackt und Pfähle daraus geschnitzt.
Schade um die schönen alten Stühle, aber schließlich ging es um Leben und Tod.
Sehr lange rührte sich nichts im ganzen Haus.
Doch dann …
… erklang plötzlich ein Winseln am Eingang.
Jacques umklammerte die Lehnen seines Stuhls und seufzte leise. »Das ist Eleanora. Sie ist verletzt.«
Er wollte sich erheben.
»Bleib bitte sitzen, Jacques«, meinte Jade. Sie nahm einen Pfahl und ging langsam durch die Bibliothek und die große Diele zum Eingang. Dort verharrte sie einen Moment lang reglos. Wieder ertönte das leise Winseln. Sie öffnete die Tür. Es war tatsächlich die Schäferhündin, sie blutete und hinkte, doch sie wedelte mit dem Schwanz.
Jade musste lächeln. »Gutes Mädchen, braves Mädchen. Komm rein, dann verarzte ich dich.«
Sie bückte sich, um den Hund zu streicheln. Auf einmal kam eine riesige Gestalt auf sie zugetaumelt. Sie schrie auf und wollte die Tür zuknallen, aber dann meinte die Gestalt: »Jade, um Himmels willen, ich bin’s doch, Rick!«
Jade riss die Tür wieder auf.
Rick wirkte noch zerschundener als der Hund. Auf den Schultern trug er den Körper eines Mannes. »Lass mich rein, rasch!«, bat er.
Jade trat zur Seite und sah zögernd in die Nacht hinaus.
»Jade!«, mahnte Rick.
Ein seltsamer Lufthauch streifte ihr Gesicht.
Schnell machte sie die Tür zu und verriegelte sie sorgfältig. Dann drehte sie sich um.
In dem Moment stieß Jacques einen heiseren Schrei aus.
Jade raste in die Bibliothek zurück.
Lucian DeVeau ging aus dem Zimmer. Tara starrte benommen auf die leere Schwelle, bis sich schließlich ihre Lebensgeister wieder regten und sie Lucian nacheilte.
Sie
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