Reich kann jeder
ein Buch werden, Anne und ich. Wir sollen die Reichmacher werden oder so etwas Ähnliches.
Was wir machen, könne unter Umständen sogar ein Bestseller werden, heißt es. Der Agent sagt, er wolle unser Vorhaben den Verlagen anbieten, erst mal nur den großen.
Es könne wirklich fett werden, heißt es.
Der Kontakt zu ihm kommt über eine Freundin. Diese Freundin sagt, der Agent habe sich richtig toll bedankt für uns. So etwas gebe es nicht so oft, hat sie gesagt.
Das Telefon klingelt am Donnerstag, Anne sitzt in der Tram. Es klingelt noch einmal. Der Agent.
Es gehe los. Man böte für uns. Ein großer Verlag. Da gehe es ums Geld. Geld dafür, dass wir reich werden.
Sie würden dafür auch eine gewisse Summe zahlen, heißt es, sie könnten schon bald einen kleinen Vorschuss überweisen. Es könne da sehr schnell gehen. Wir müssten nichts Besonderes machen, nur aufschreiben, was uns auf unserem spannenden Weg passiert.
Der Verlag habe ihm leider eine Ansage gemacht, sagt der Agent. »Bitte entscheiden Sie sich, bis 18 Uhr müssen wir das wissen.«
Wir wissen, wie wir das entscheiden.
Danach denke ich kurz an Kündigung. Ich denke: Soll ich das tun? Ist das ein Fehler?
Danach kündige ich.
Ich kündige!
Ich trage meine Kiste aus der Redaktion runter und bin draußen. Ich habe bald eine persönliche Kleidungsberaterin und einen Smalltalk-Trainer, aber keinen Job mehr.
Es ist so komisch, dass ich fast nicht mehr darüber lachen kann. Ich würde am liebsten irgendwo nackt in einen Pool.
Anne nimmt mich in den Arm.
Ich habe jetzt keinen Job mehr, aber Perspektive: Ich bin bald reich.
»Ich will jetzt wissen wo und wie, Anne! Ich will jetzt wissen, was man tun muss, für wen, und wie man damit reich wird!«, sage ich, als ich mich wieder beruhigt habe. »Das glaubt doch kein Mensch, dass sich das ganze Gearbeite noch lohnt.«
Herr Weise soll es uns sagen, entscheide ich und schreibe ihm eine Mail, ich schreibe jetzt ja viele Mails und Briefe. Er soll es zugeben und sagen, dass sich ehrliche Arbeit nicht mehr lohnt.
Er soll mit uns sprechen, darum bitten wir ihn.
Frank-Jürgen Weise, der Chef der Bundesagentur für Arbeit.
Ausgerechnet.
***
Die Zentrale der Agentur ist das höchste Haus in Nürnberg, unser Navi will nicht hin, scheucht uns zu früh von der Autobahn, einmal, immer wieder. Als wir ankommen, beginnt es zu regnen.
Dass ich auf dem Parkplatz »A wise man said« von Johnny Cash singe und mich fühle wie der Rächer der Arbeiterklasse, kann das halbe Hochhaus hören.
The wise man ist Weise.
Auf dem Weg zum Haupteingang schauen wir in die Fenster im Erdgeschoss. Unsere Blicke bleiben kleben an Kaffeetassen auf Schreibtischen. Augen von drinnen mustern uns interessiert.
»Guck mal, die lächelt, die arbeitet doch gern hier«, sagt Anne.
»Der soll es einfach nur sagen«, sage ich.
Frank-Jürgen Weise hat sein Büro nicht unterm Dach, sondern ziemlich weit unten, im ersten Stock. »Oben ist auch noch eine Toilette«, ruft die Frau am Empfang durchs Foyer, als ich ihr sage, dass ich noch mal dringend müsse, ich weiß auch nicht wieso sie das ruft, wahrscheinlich damit das auch ja jeder mitbekommt.
Der Sprecher von Herrn Weise kommt zu uns, das Haar streng zurückgekämmt, im perfekten Anzug mit Hamburger Goldknöpfen.
Er mustert uns, Annes weiße Bluse ist vom Regen ein bisschen nass, er führt uns hoch.
»Ich kann das nicht, ich kann ihn das doch nicht fragen«, flüstert Anne.
»Doch, du kannst! Du musst!«
Herr Weise kommt mit ausgestreckter Hand auf uns zu, er hat eine Brille und ein Lächeln in den Augen, das ich sehr eindringlich finde. Er kann so lächeln, dass man sich fragt, ob man jetzt wirklich böse Fragen stellen sollte oder nicht. »Die Nettolöhne sind jetzt zum ersten Mal seit 1949 runter«, habe ich mir zurechtgelegt. »Kennen Sie Jeanette Biedermann? Jeanette Biedermann kriegt 5000 Euro pro Drehtag.«
Wir setzen uns an einen großen runden Tisch. Wir und der Ex-Bundeswehr-Offizier, Fallschirmjäger, Wirtschafts-Boss, der Erste und Einzige von außen, der es in der Bundesagentur wirklich weit gebracht hat.
Ein Offizier im grauen Anzug.
»Möchten Sie eine Tasse Tee haben, einen Kaffee, ein Wasser?«, fragt Herr Weise sehr höflich.
Er sagt, er nehme seinen Tee, steht auf, verschwindet und holt sich seine Tasse von ganz hinten. Er kann gehen, ohne Geräusche zu machen, denke ich.
Er bittet uns, ihn zu führen, er betrachte es als geistige Herausforderung, dass
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