Reid 2 Die ungehorsame Braut
der Straße.
»Ich wollte dir zu deiner Verlobung gratulieren«, sagte Mavis.
»Danke.«
»Und dir alles Gute für...«
»Lass das«, unterbrach Ophelia sie mit scharfem Ton, den sie sogleich wieder bereute.
Sofort schluckte sie die aufsteigende Wut herunter. Mit Stolz stellte sie fest, dass sie ihre Gefühlsregungen beherrschen konnte. Genau wie ihr Vater vermochte Mavis sie mit einigen wenigen Worten bis aufs Blut zu reizen. In wesentlich ruhigerem Ton sagte sie: »Keine verletzenden Bemerkungen.«
»Ich hatte nicht vor, dich zu...«
»Bitte, Mavis, mir steht nicht der Sinn nach einem Schlagabtausch.«
»Mir auch nicht.« Ophelia starrte ihre ehemalige Freundin skeptisch an. Sie durfte Mavis keinen Zoll über den Weg trauen. Mavis hatte ich schließlich noch nicht an ihr gerächt, zumindest nicht in der Form, in der sie es sicher gehofft hatte. Sie hatte Ophelia auf Summers Glade bloßstellen wollen, zumindest vermutete sie das. Mavis ahnte nicht, wie sehr sie sie verletzt und zum Weinen gebracht hatte. So sollte es auch bleiben.
»Ich erkenne an deinem Mienenspiel, dass du mir nicht glaubst, und ich kann es dir noch nicht mal verübeln.« Mavis klang tatsächlich, als täte es ihr leid, und ihre Mimik untermalte diesen Eindruck. »Es war unfair von mir, dir so viel Hass entgegenzubringen. Ich dachte ernsthaft, dass du wegen Lawrence lügst. Ich wusste, dass du früher oft gelogen hast. Da es nur Kleinigkeiten waren, hat es mich nicht gestört. Schließlich waren wir befreundet. Ich habe es einfach ignoriert - bis du versucht hast, mich davon zu überzeugen, dass Lawrence ein Bastard sei, der mich nur benutzte, um an dich heranzukommen. Ich habe dir nicht geglaubt, kein bisschen. Das ist der Grund, warum ich nur noch Hass für dich empfunden habe. Und es hat mir die ganze Zeit über ein flaues Gefühl beschert. Weil ich dich im Grunde nicht hassen wollte, mir aber nicht anders zu helfen wusste.«
Mavis’ Stimme klang jetzt so wehleidig, dass sich in Ophelias Hals ein dicker Kloß formte. »Warum wärmst du diese alte Geschichte auf?«
»Weil ich Lawrence kürzlich begegnet bin. Die Erbin hat ihn verlassen. Ich hatte bereits davon gehört, aber es war so lange her, dass ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Er ist fett geworden und zügellos, und augenscheinlich trinkt er jetzt auch noch. Bei unserer Begegnung war er betrunken. Er hat mich nicht einmal erkannt. Als ich ihm in Erinnerung gerufen habe, wer ich hin, hat er gelacht.«
»Das tut mir leid«, sagte Ophelia, doch ihre alte Freundin schien sie nicht zu hören.
»Weißt du, was er mir geantwortet hat? Er sagte: Ah, der kleine naive Fratz, der meinte, ich würde ihn heiraten. Sind wir endlich ein wenig schlauer geworden ?«
Mavis begann zu weinen. Ophelia schluckte und streckte die Hand aus, doch Mavis wich ein Stück zurück. »Du hast mich gewarnt, und statt dir zu danken, habe ich dich gehasst. O Gott, es tut mir leid. Ich wollte nur, dass du das weißt«, rief Mavis, ehe sie über die Straße hin zu ihrer wartenden Kutsche lief.
Ophelia wollte sie zurückhalten und rief ihren Namen, doch Mavis hörte sie nicht. Sie dachte kurz daran, ihr nachzulaufen, schreckte aber wegen des dichten Verkehrs davor zurück. Eine der passierenden Kutschen schien ein wenig außer Kontrolle geraten zu sein und fuhr viel zu nah an den anderen Gefährten vorbei. Ophelia entschied, Mavis am nächsten Tag einen Besuch abzustatten und ihr zu versichern, dass sie ihr nicht mehr grollte. Wer weiß, vielleicht war es ja sogar möglich, dass sie wieder Freunde wurden.
Um sich zu vergewissern, dass Mavis sicher die andere Straßenseite erreichte, sah sie ihr nach. Da ihre einstige Freundin den Kopf gesenkt hielt, um ihre Tränen zu verbergen, nahm sie ihre Umwelt nur begrenzt war. Ophelia hielt den Atem an. Die Kutsche, die außer Kontrolle geraten war, steuerte geradewegs auf Mavis zu!
Ophelia machte einen Satz auf die Straße. Noch nie in ihrem Leben war sie so schnell gelaufen. Sie hastete um einen Karren herum, der sehr langsam fuhr, und wich einem Reiter aus. Mit ein wenig Glück würde sie Mavis gerade noch rechtzeitig erreichen, um sie fortzureißen. Doch der Kutscher hatte augenscheinlich kaum noch Kontrolle über seine hochgradig verängstigten Pferde. Wie wild riss er an den Zügeln und schrie, man möge ihm aus dem Weg gehen. Da, die Kutsche wurde tatsächlich etwas langsamer. Um Mavis auszuweichen, die ihn offenbar nicht gehört hatte, riss er das Gespann
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