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Reihe der Versuche 05 - Versuch über den Pilznarren

Reihe der Versuche 05 - Versuch über den Pilznarren

Titel: Reihe der Versuche 05 - Versuch über den Pilznarren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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Nachmittagssonne des Dezember blinkten ihn aus wieder einem Grabloch im Schnee die gelbbraunen Flügel eines Erdfalterchens, eines einzelnen, an, das im Entdeckermoment auch frisch seinen Kosenamen zu hören bekam. Und erst das Gelb seines Beinchens in der Sonne: Wo gab es auf der ganzen Welt einen Glanz, der herzlicher willkommen hieß?
    Und wieder aus langjähriger Erfahrung wußte der Pilznarr, daß, so wie man, oft nach halbtaglanger Suche, endlich den ersten, in der Regel, wie der jetzt, einzelnen und wie einzigen Falter aus dem tiefen Laub »flügeln«, dabei still an Ort und Stelle bleibend, wahrnahm, darauf Verlaß war, um ihn herum, nicht bloß einzeln, vielmehr büschelweise, zu Trauben und Clusterngedrängt, ganze Hundertschaften der köstlichen, unvergleichlich – wie eben fast alle der Pilze – schmeckenden Erdfalterchen freizulegen, eine in einem wie geometrischen Muster von Erdfurchen und -rissen verborgen gewesene Schleppe, die sich weit zwischen die Bäume zog, so reichhaltig, daß er, beim Pflücken oder Abknipsen (das er als Musik vernahm, »wie komponiert unisono von John Cage und Domenico Scarlatti«) und Ernten, die Vorstellung von einem geheimen Beet tief im Wald, von einer versteckten, ihm in Person bestimmten geheimen Plantage hatte.
    So kam es auch an jenem Tag, nur daß, einmal aufgedeckt unter dem Schnee, die Beete mit den Erdfaltern sich querwaldein ständig weiter zogen; die Plantage zog sich hin wie ohne ein Ende. Die Ernte von Stunde zu Stunde reicher, auch schwerer in sämtlichen Behältern, in den Taschen, im Rucksack, forderte sein fort- und fortgesetztes Sichbücken und Pflücken. Zwischendurch wurde die gelbe Schleppe zu seinen Füßen schütterer, riß gleichsam für ein, zwei Schritte – und flackerte und falterte beim nächsten Schritt neu auf. Dabei hatte er gehofft, sich endlich aufrichten und getaner Dinge heimkehren zu können. Nichts wie weg aus dem Wald! Aber dazu war er nicht imstande. Die Erdfalterschleppe zog sich und ihn fort und fort. Nicht nur konnte er nicht weg, er durfte nicht weg, die Biester, das Gesindel, das Geschmeiß, es ließ das nicht zu. Die Pilzstellen, die Pilzbeete, die Pilzfelder, die Pilzschleppen, die Pilzmäander, sie schlängelten sich, sie wanden sich, sie zuckten mit Rattenschwänzen, schlugen mit Drachenschwänzen, warfen Schlingen aus nach ihm, ohne Unterlaß, ohne Erbarmen.
    Die Dämmerung fiel, es kam, ohne ein Abendwerden, die dezemberliche Nacht, und er kehrte weiterhin, fluchend, flehend,auch wimmernd und aufheulend, als »Erntezwangsarbeiter« (Formelsprache aus seiner Anwaltszeit) das Waldunterste nach oben, erst noch im Schneelicht, dann mit der Stirnlampe, welche er, seit dem Verkommen seiner Leidenschaft zur Sucht, auf Schritt und Tritt in den Wäldern mit sich trug. »Ich, der Jäger? I wo, ich der von den Pilzen Gejagte!« (Wieder so eine Formel.)
    Und dann? Endgültiger Ausbruch des Grauens und mit Gebrüll oder stumm mit dem Schädel gegen einen Baumstamm am Rand des tiefsten der Bombentrichter gerannt? Ein anderer »Großer Fall«? Oder, summend und singend, wie wenn nichts wäre, am Boden eines Kraters sich selber als ganzer durch den inzwischen gefrorenen Schnee hinein in die Laubspreu darunter gewühlt? Nichts dergleichen. Wie in der Geschichte des Habakuk, eines angeblichen Propheten im Alten Testament, wurde er, hast du’s gesehen?, am Schopf gepackt undquerluftein woanders-, ganz woandershin getragen. – Getragen von wem? – Keine Ahnung. Malt euch das alleine aus. – Vielleicht von ihm selber? – Vielleicht.
    Vom wem ich das alles, seine letzten Jahre vor seinem Verschollengehen, das letzte Jahr, den letzten Tag, weiß? Von ihm, meinem Dorfkindheitsfreund und späteren Pilznarren, wenn nicht gar -wahnsinnigen, persönlich.
    Meine Ahnung, er sei unterwegs zu mir, ist eingetroffen: Seit ein paar Tagen leistet er mir Gesellschaft, oder wir leisten einander Gesellschaft, nach dem einen ganzen Jahr seines Ferngebliebenseins. Und durch sein Auftauchen, heil, ist, hoffe ich, auch jenes Gran Heiterkeit in meine und seine Geschichte geflattert, ohne welches mein Erzählen es nicht dorthin schafft, wo sie hindrängt und hingehört, ins, wie von jemand anderem als mir ausgerufen, Offene!
    Es war wieder ein Dezemberanfang, wenn auch ohne Schnee, und eines Nachmittags, während ich in meinem ziemlich abgelegenen Haus, dem einstigen Auswechsel- und Übernachtungsschuppen für Kutschen-oder-sonstwas-Pferde in der heute wie

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