Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken
in Bremen und Hamburg. Ich habe in Berlin verzweifelt einen freundlichen Taxifahrer gesucht und in München eine bezahlbare Wohnung. Ich habe meiner Frau in Weimar den Heiratsantrag gemacht, war auf Lesereise in Nordrhein-Westfalen, besuche in Stuttgart mehr oder weniger regelmäßig mein Patenkind, war im Harz Ski fahren, bin in den Sommerferien zwischen Ost- und Nordsee hin- und hergependelt und natürlich schon mehrfach auf Mallorca gewesen.
Allein in den vergangenen fünf Jahren habe ich, beruflich und privat, rund tausend Bahnfahrten durch die Republik absolviert und würde behaupten, dass niemand so rasant eine Fahrkarte zu einem beliebigen Ziel an einem Automaten ersteht wie ich. Sollte also im Reisecenter neben Ihnen plötzlich ein Fahrgast auftauchen, der wie Lucky Luke schneller als sein Schatten ein Ticket zieht – sprechen Sie mich ruhig an. Ich helfe wirklich gern!
Wenn Sie aber nach der Lektüre der kommenden Kapitel einen anderen Eindruck bekommen, möchte ich mich dafür vorab in aller Form entschuldigen. Ich habe einen Hang zu Übertreibungen und mache mich hier und da über Verhaltensweisen lustig, die nicht nur typisch deutsch, sondern ebenso typisch Mahr sind. Ja, ich gebe es zu: Auch ich blockiere in der Bahn den Platz neben mir mit meiner Tasche/meinem Rucksack, damit sich dort niemand hinsetzt. Ich trenne bei Briefumschlägen Papier und Sichtfenster, bevor ich beides in unterschiedlichen Mülltonnen entsorge. Ich neige zum Beschwerdebriefeschreiben mit ausgeprägter Rechthaberei, fange im Auto plötzlich an zu fluchen, liebe Baumärkte und festverzinsliche Sparanlagen und könnte mich am Telefon auch mal freundlicher melden.
Ich bin halt ein typisch deutscher Erzähler. Trotzdem (oder gerade deswegen?) zum zweiten Mal: Viel Spaß beim Lesen!
Das Volk der Drängler
Er fühle sich sehr wohl hier, hat der renommierte Klimaforscher Mojib Latif, dessen Eltern aus Pakistan stammen, gesagt, als ihn das Magazin Reader’s Digest über das Leben in Deutschland befragte. Die Arbeitsbedingungen seien gut, die Menschen meist freundlich. Nur eines könne er nicht verstehen: „Warum“, fragte Latif, „müssen die Deutschen immer so drängeln? Warum können sie sich nicht ordentlich anstellen?“
Die Frage ist berechtigt, insbesondere dann, wenn man unser Warteverhalten mit jenem in angelsächsischen Ländern vergleicht. Während die Menschen dort in unnachahmlichem Gleichmut und nicht zu verbessernder Gleichmäßigkeit Schlangen vor Supermärkten, Taxiständen und Behörden bilden, schieben sich die Deutschen vor, wo es geht. Besonders bedrohlich kann das auf Flughäfen werden. Argwöhnisch verfolgen die deutschen Passagiere beim Boarding jede Bewegung, die die Mitarbeiter der Fluggesellschaft machen. Sobald sich einer der Sprechanlage nähert, greifen die Bundesbürger nach Handgepäck und Familie, um bei der kurz darauf erfolgenden Durchsage („Meine Damen und Herren, wir beginnen jetzt mit dem Einsteigen“) auf jeden Fall vorn in der Reihe und möglichst die Ersten im Flugzeug zu sein. Dort angekommen, regt sich der Deutsche dann gern darüber auf, dass alles so lange dauert: „Jetzt sitzen wir schon eine Stunde hier drin, und da hinten kommen immer noch Leute. Können die sich nicht rechtzeitig anstellen?“
Nein, geduldiges Warten ist keine deutsche Tugend. Deshalb sind wir auch Weltmeister im Überholen. Das beginnt im Straßenverkehr – Stichwort: Lichthupe –, in dem sich Drängler und Nötiger nicht einmal von möglichen Freiheitsstrafen zwischen sechs Monaten und drei Jahren abschrecken lassen.
Es geht weiter im Supermarkt, wo die alte Dame, die mit ihren drei Teilen „doch sicher schnell mal vor“ kann, allgegenwärtig ist. Es wird ein ewig deutsches Rätsel bleiben, warum ausgerechnet Rentner am wenigsten warten können. Die müssten doch alle Zeit der Welt haben! Oder sie könnten einfach in den Zeiten Einkaufen gehen, in denen der Rest der Republik arbeitet – am frühen Nachmittag zum Beispiel. Aber wahrscheinlich macht das einfach nicht so viel Spaß.
Wie sehr der Deutsche den am Drängeln, Schubsen und Vorbeischummeln hat, zeigt sich im Urlaub. Wer jemals mit anderen Bundesbürgern (oder einfach dem eigenen Mann/der eigenen Frau) in einem All-inclusive-Resort zu Abend gegessen hat, weiß, wovon ich spreche. Lange bevor die Restaurants geöffnet haben, stehen die Gäste aus Baden-Württemberg, Bayern oder Sachsen-Anhalt an den Eingängen. Nicht der Hunger treibt sie,
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