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Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken

Titel: Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yannik Mahr
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sondern die Sorge, erstens keinen Tisch und zweitens zu wenig abzubekommen. Die Bedrohung ist ja auch real: Was, wenn die Steaks nicht reichen? Was, wenn die Engländer das ganze Bier wegsaufen? Was, wenn das Vanilleeis plötzlich aus ist, wie gestern Abend? Obwohl das doch so lecker war! Alles schon da gewesen. Das Risiko ist groß und jede Minute daher kostbar.
    Wie kostbar, zeigt sich selten so deutlich wie bei einer Kreuzfahrt auf einem deutschen Schiff mit deutschsprachiger Besatzung und fast ausschließlich deutschen Gästen. Ich habe für dieses Buch den Test am eigenen Leib gemacht und kann deshalb aus voller Überzeugung sagen: Erstens ist es schlimmer, als ich erwartet hatte, und zweitens bin ich auch nicht besser als die meisten meiner Landsleute. Einmal Deutscher, immer Deutscher.
    Bei der heißen Schlacht am kalt-warmen Kreuzfahrer-Büfett konnte ich ganz deutlich zwischen zwei Typen unterscheiden: den „Sammlern“ und den „Nachholern“. Der Sammler versorgte erst einmal sich und seine Familie, sein Tisch sah selbst schnell aus wie ein Büfett. Der Nachholer aß Gang für Gang, wobei er durchaus zweimal zum Salat und bis zu viermal an die Eisbar gehen konnte. Selbstverständlich richtete er es dabei so ein, dass der kostbar erkämpfte Tisch in der Nähe der Dessertbüfetts immer von einem Familienmitglied bewacht wurde.
    Interessant war das Gruppenverhalten, das viele Mitreisende im Lauf der Kreuzfahrt an den Tag legten. Mit der Zeit bildeten vor allem die Nachholer Essengemeinschaften mit Gleichgesinnten, die einen aus Dränglersicht entscheidenden Vorteil hatten: Je mehr Passagiere an einem Tisch saßen, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass einer von ihnen bei der nächsten Mahlzeit exakt diesen Tisch erneut eroberte.
    Genau das war auf dem deutschen Schiff jedoch aus verschiedenen Gründen nicht leicht: Erstens, weil man es hier eben nicht mit brav wartenden Engländern und Amerikanern zu tun hatte, sondern mit Kreuzfahrt-gestählten Landsleuten. Zweitens, weil irgendwo und irgendwann immer eine Mahlzeit anstand.
    Bis heute habe ich nicht herausgefunden, wie es meinen Mitreisenden gelingen konnte, zu jedem Essen pünktlich im Hauptrestaurant zu erscheinen und sich trotzdem die Städte angesehen zu haben, vor denen das Schiff festmachte. Soll niemand glauben, dass sich ein deutscher Kreuzfahrtpassagier nur wegen Neapel oder Barcelona oder Rom das teuer bezahlte Mittagessen entgehen ließe. Nein, kaum, dass sich die Türen zu einem der Restaurants öffneten, waren die meisten wieder da.
    Anfangs war ich so naiv zu glauben, dass mir das nie passieren würde. In einer italienischen Pizzeria oder einem französischen Weinlokal an Land musste es doch viel schöner sein als im stickigen Hauptrestaurant des Riesenschiffs! Doch nach und nach geriet auch ich in den „Was wir bezahlt haben müssen wir auch ausnutzen“-Sog und rannte selbst zur Mittagszeit wieder Richtung Schiffsanleger, zusammen mit meinen wackeren Mitfahrern.
    Am Ende konnte ich sogar jenen Familienvater verstehen, der via Überschlagsrechnung zu beweisen versuchte, dass seine Frau, die Kinder und er so viel getrunken und gegessen hatten, dass es dem Gegenwert der ganzen Reise entsprach. „Die Übernachtungen waren für uns praktisch kostenlos“, verkündete er am letzten Tag stolz, und es gab nicht wenige, die ihm respektvoll zunickten.
    Vielleicht hätte auch ich das getan, wenn mich sein adipöser Sohn Friedrich nicht mehrmals mit den Worten: „Wir Kleinen wollen auch etwas essen!“ erfolgreich aus der Schlange vor der Eisbar gedrängelt hätte, um sich dann fünf bis sieben Kugeln Eis zu nehmen, die von zwei Waffeln und drei Pfannkuchen zusammengehalten wurden.
    Interessanterweise waren die Sitten gerade am Dessertbüfett besonders rau und die Drängelmethoden besonders dreist. Unter anderem hat sich mir die Gestalt einer resoluten, vielleicht 80-jährigen Dame eingeprägt, die sich direkt zwischen mich und den lieben Friedrich schob, weil sie „nur mal kurz ein Eis“ wollte, für das auch wir, zusammen mit etwa 40 anderen Menschen, anstanden. Nur ein glücklicher Zufall verhinderte, dass es bei den Kämpfen um die Vanilleeis-Reste bei zunehmendem Seegang keine Verletzten gab. Von ein paar blauen Flecken und einer nicht mehr zu stoppenden Übelkeit abgesehen ist im Hauptrestaurant, zumindest nach meinen Beobachtungen, an diesem Abend nichts Schlimmes passiert.
    Robuster ging es da schon in einem österreichischen

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