Reise in die Unterwelt
Haufen, warf ihn selbst über die Schulter und rannte aus der Tür.
Yawrns Kluft war eine breite Schlucht, durch die gespenstische Winde heulten, deren Kälte sich auf der schmalen Brücke unangenehm bemerkbar machte. Cugel fröstelte und legte nun ein schnelleres Tempo ein.
Nur gut, daß Sull nicht übermäßig schwer war. Er wagte es jedoch nicht, auch nur einen Blick in die Tiefe zu werfen, sondern richtete seine Augen immer geradeaus auf einen imaginären Punkt, und so erreichte er schließlich erleichtert aufatmend das Ende der so unwirklich scheinenden Brücke.
Mit dem immer noch bewußtlosen Than stapfte er in die Wüste hinaus.
4. Die Geisteraustreibung
Die ganze Nacht, den nächsten Tag und die folgende Nacht marschierten der Than und sein Lehnsmann. Sie gönnten sich nur kurze Pausen, um die trostlose Öde hinter sich zu bringen. Ihr Durst machte sich bereits unangenehm bemerkbar, war jedoch gerade noch erträglich, als sie sich dem Rand der Wüste näherten.
Das felsige Land vor ihnen sah allerdings auch nicht sehr vielversprechend aus. Die höheren Steinbrocken warfen düstere Schatten über den rauhen Boden, dessen einzige Vegetation trockene Flechten waren. Ehe die beiden Wanderer weiterschritten, suchten sie nach Wasser, das glücklicherweise in Form von rauschenden Bächen vorhanden und leicht zu finden war.
Der schmale Weg, dem sie durch die Wüste gefolgt waren, wurde hier zur breiten, mit Kopfsteinen gepflasterten Straße, die nicht in diese Wildnis zu passen schien. Cugel betrachtete sie nachdenklich. »Sie führt gewiß in eine reiche, blühende Stadt«, meinte er schließlich. »Weshalb sonst hätte man sich soviel Mühe mit ihrem Bau machen sollen?« Ohne Eile schritten sie dahin. Sie hatten sich an einem Bach erfrischt und lange ausgeruht; sie fühlten sich nun viel wohler.
»Wie kann in einer so unfruchtbaren Gegend eine Stadt erbaut worden sein?« zweifelte der Than.
Sie waren noch nicht weit gekommen, als sie am Straßenrand auf einen Hirten stießen, dessen Herde – wollige blaue Kreaturen von Katzengröße – von den knöcheltiefen Flechten fraß. Als er ihre Schritte vernahm, erstarrte er fast. Kaum hatte er sich jedoch gefaßt, lief er ihnen entgegen und betrachtete sie völlig verblüfft von Kopf bis Fuß.
»Es ist unmöglich, daß ihr aus dem weglosen Norden kommt«, murmelte er zu sich selbst. »Nur eine ganze Armee würde es vielleicht schaffen, die Spinnensümpfe zu überqueren. Doch genauso unvorstellbar deucht es mir, daß ihr aus dem Süden kommt, wo immer noch die Pflanzenkriege wüten.«
Cugel lächelte. »Du brauchst dir nicht länger den Kopf zu zerbrechen. Unser Weg brachte uns über die Kannibalenberge und Yawrns Brücke hierher.«
Die Augen des Hirten wurden noch größer. Er nahm seine Mütze ab und verbeugte sich tief. »Obgleich die Logik mir dies zu schließen befahl, Erhabene, konnte ich es doch schwerlich glauben. Seid meiner untertänigsten Ergebenheit versichert.«
Nach seinem ersten Staunen schien der Than sich von dem Benehmen des Hirten geehrt zu fühlen. Cugels gesundes Mißtrauen war jedoch erwacht. »Wie hast du unsere hohe Stellung erraten?« fragte er ein wenig von oben herab.
»Das habe ich nicht, Euer Gnaden. Doch ist mir klar, daß Ihr und Euer Begleiter über große Macht verfügt. Wieso, fragt Ihr? Nun, Ihr seid die ersten seit Menschengedenken in Waddlawg, die bekleidet die Schlucht überquerten. Infolgedessen muß es euch gelungen sein, den über Zauberkräfte verfügenden Mautner zu überwinden. Denn daß er sich der Magie bedient, daran zweifeln die Erhabenen Standhaften von Waddlawg keineswegs. Bis jetzt hat noch jedes der erniedrigten Opfer der Spielsucht des Mautners auf der Streckbank dieses lasterhafte Kartenspiel und so manches Verschwinden seiner Begleiter auf gleiche Weise beschrieben. Diese Berichte scheinen durchaus glaubhaft, denn ein waddlawgsches Sprichwort sagt: ›Auf der Streckbank liegt die Wahrheit.‹«
Entrüstet starrte der Than ihn an. »Wollt Ihr damit sagen, daß die Bedauernswerten, die durch die Unverfrorenheit des Mautners entblößt zu euch kommen, auf die Streckbank gespannt werden?«
»So ist es, denn so muß es sein«, erwiderte der Hirte mit einer tiefen Verbeugung. »Ihr müßt bedenken, allerhöchster Herr, daß diese Wanderer, indem sie nackt unsere Stadt betreten, Fleischlichkeit begehen. Das ist ein Verbrechen, dessen Schändlichkeit nur noch von einem weiteren übertroffen wird.
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