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Reise in die Unterwelt

Reise in die Unterwelt

Titel: Reise in die Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Shea
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Ich muß gestehen, daß ich persönlich eine solche Nacktheit nicht so streng beurteile, genausowenig wie der größte Teil der Bürger Waddlawgs. Aber es sind die Erhabenen Standhaften, die die Gesetze machen und vertreten.«
    »Nun«, meinte Cugel, »obgleich eure Erhabenen uns übertrieben streng erscheinen, dürfte es für uns wohl keinen Grund geben, die Gastfreundschaft der Stadt nicht in Anspruch zu nehmen. Willst du dir unsere Dankbarkeit verdienen und ...«
    »Ich würde jedes Zeichen eurer Dankbarkeit zu schätzen wissen.« Der Hirt verbeugte sich noch tiefer. »Vor allem, wenn ihr sie mir in Form eines schmerzhaften Todes eines meiner Nachbarn erweisen würdet. Dafür täte ich alles für euch.«
    »Dann lauf schon zu und sorge für unseren würdigen Empfang in Waddlawg. Informiere die Standhaften über den bevorstehenden Besuch zweier mächtiger Zauberer. Übermittle ihnen unsere gnädigen Grüße und erkläre ihnen, daß wir eine unserem Stand gemäße Unterbringung und reichhaltige Mahlzeit erwarten.«
    Während der Worte seines Lehnsmanns blinzelte Mumber Sull verwirrt. »Was soll dieser Schwindel?« tadelte er Cugel. »Du wirst keines der Dinge tun, die er dir befahl«, wandte er sich danach an den Hirten.
    »Unter normalen Umständen würde ich das auch ganz bestimmt nicht«, erklärte dieser. Sowohl Sull als auch Cugel starrten den bisher so devoten Hirten an und fragten gleichzeitig: »Weshalb nicht?«
    »Eure Hoheiten, ihr müßt wissen, daß Zauberei das Verbrechen ist, das in Waddlawg als noch schlimmer denn Fleischlichkeit betrachtet wird. Stünden die Dinge wie sonst, würdet Ihr, erhabene Herren, sofort bei Betreten der Stadt vor die Wahl gestellt, sie innerhalb von dreißig Minuten wieder zu verlassen oder auf die Streckbank gespannt zu werden. Die Standhaften verabscheuen Zauberei – eine weitere Einstellung, die weder ich noch meinesgleichen verstehen –, trotzdem betrachten sie es nicht als unter ihrer Würde, ungemein wirksame Talismane anzuwenden, die verhindern, daß die gefangenen Zauberer sich befreien können. Doch in letzter Zeit hat die Ansicht der Standhaften sich offenbar geändert. Sie haben sogar einen Zauberer als Gast in der besten Herberge der Stadt. Es geht das Gerücht, daß sie seine Dienste in Anspruch nehmen. Sie ließen zudem öffentlich verkünden, daß jeder Zauberer, der in die Stadt kommen sollte, zu ihnen gebracht wird. Deshalb und in der Hoffnung, daß ihr eure versprochene Dankbarkeit nicht vergeßt, eile ich nun in die Stadt und melde euch an.«
    Der Hirt winkte seiner Herde zu, und sie folgte ihm mit erstaunlicher Geschwindigkeit. In Kürze waren sie bereits außer Sichtweite.
    Mumber Sull blickte Cugel streng an. »Es gefällt mir nicht, daß Ihr vorgebt, wir seien Zauberer. Eine solche Maskerade ist meines hohen Ranges unwürdig.«
    »Hochwohlgeborener Than, Euer Rang und Eure hohe Würde sind in Icthyll bekannt, doch kaum hier in dieser barbarischen Öde. Weshalb sollten wir eine Ehre ablehnen, wenn man sie uns anbietet? Ist es nicht besser, denn als namenlose Vagabunden in der Stadt schief angesehen zu werden?«
    Der Than sah offenbar ein, daß Cugel vielleicht doch nicht ganz unrecht hatte, aber trotzdem gefiel es ihm nicht. Erst als Cugel ihn darauf aufmerksam machte, daß sie als hochgestellte Persönlichkeiten eher Auskunft über Simbilis bekommen würden, war er schließlich bereit, ihre wahre Identität nicht auf zudecken.
    Die Stadt bot einen malerischen Anblick, als sie näher heran kamen. Sie lag nicht gerade in einem Tal, sondern in einer riesigen Mulde mit gewaltigen, verschieden hohen, flachen Steinen, zwischen denen sich mehr oder weniger breite Wasserwege dahinwanden. Von jedem der Steinstücke erhob sich ein reich verziertes Bauwerk, manches acht Stockwerke hoch.
    »Es scheint wahrhaftig eine blühende Stadt zu sein. Seht die vielen Gondeln!« rief Cugel. »Und auf den Brücken drängen sich die Menschen.«
    Hinter dem Tor, dem sie sich näherten, wartete das Empfangskomitee auf sie. Das kurze Nicken der Köpfe galt offenbar als Willkommen, auch wenn aus den Mienen keine besondere Freundlichkeit zu lesen war, sondern eher unverhohlene Abscheu. Die Gewänder der Männer waren aus dem Pelz der kleinen blauen Kreaturen gewebt, wie der Hirte sie gehütet hatte. Ihre Köpfe waren glatt rasiert und mit einem Muster aus konzentrischen Kreisen bemalt. Sie hoben sich in Kleidung und Haltung von den Gaffenden ab, unter denen sich auch der Hirte

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