Reise nach dem Mittelpunkt der Erde
einem Lavablock sitzend ihm zu; sie hielten ihn offenbar für närrisch.
Die Tromke am Gebirge. (S. 93.)
Plötzlich stieß mein Oheim einen Schrei aus. Ich meinte, sein Fuß sei ihm eingesunken und er sei im Begriff, in einen der drei Schlünde hinabzufallen.
Arne Saknussemm! (S. 97.)
Doch nein. Ich sah, wie er mit ausgebreiteten Armen, gespreizten Beinen vor einem Granitfelsen stand, der auf der Mitte des Kraters lag, wie ein enormes Fußgestell für eine Statue Pluto’s. Seine Haltung zeigte einen ganz vom Staunen bestürzten Mann, aber seine Bestürzung wich bald vor einer unsinnigen Freude.
»Axel, Axel! rief er aus, komm’! komm’!«
Ich eilte zu ihm. Hans und die Isländer rührten sich nicht.
»Sieh’ nur«, sagte der Professor.
Und mit gleichem Staunen, wo nicht gleicher Freude, las ich auf der Westseite des Felsblocks in Runenschrift, die halb von der Zeit zerfressen war, den tausendmal verwünschten Namen
»Arne Saknussemm! rief mein Oheim aus, wirst Du jetzt noch zweifeln?«
Ich hatte keine Antwort darauf, und kam verstört zu meiner Lavabank zurück. Der Augenschein hatte mich niedergeschmettert.
Wie lange ich so in Gedanken versunken war, weiß ich nicht. Nur das weiß ich, daß ich, als ich den Kopf wieder aufrichtete, meinen Oheim und Hans allein vor mir sah. Die Isländer waren verabschiedet worden, und stiegen bereits auf dem Heimwege nach Stapi den äußeren Abhang des Snäfields hinab.
Hans schlief ruhig am Fuß eines Felsblocks in einer Lavarinne, wo er sich eine Lagerstätte eingerichtet hatte; mein Oheim kehrte auf den Boden des Kraters zurück, wie ein Stück Rothwild in der Fallgrube eines Jägers.
Ich hatte weder Lust noch Kraft aufzustehen, folgte dem Beispiel des Führers und sank in einen schmerzlichen Schlummer, denn es war mir, als hörte ich Getöse, und fühlte ein Schauern im Schooße des Berges.
So verging diese erste Nacht im Innern des Kraters.
Am folgenden Morgen drückte der Himmel grau, umwölkt, schwer auf der Spitze des Kegels. Ich merkte es nicht sowohl an der Düsterheit des Schlundes, als am Zorne meines Oheims.
Ich begriff die Ursache, und es kam wieder ein Rest von Hoffnung in’s Herz, aus folgendem Grund.
Von den drei Wegen, welche unseren Füßen sich öffneten, hatte Saknussemm nur einen eingeschlagen. Nach der Angabe des weisen Isländers mußte man ihn an dem in der Geheimschrift angeführten Kennzeichen herausfinden, daß der Schatten des Scartaris in den letzten Tagen des Juni seinen Rand küssen werde. Man konnte in der That diesen spitzen Gipfel wie den Zeiger einer ungeheuren Sonnenuhr ansehen, dessen Schatten an einem bestimmt angegebenen Tag den Weg nach dem Mittelpunkt der Erde zeigen werde.
Nun aber, wenn die Sonne nicht schien, gab’s auch keinen Schatten; dann fehlte also das Merkzeichen. Es war am 25. Juni. Blieb der Himmel sechs Tage lang bedeckt, so mußte die Beobachtung auf ein anderes Jahr verschoben werden.
Den ohnmächtigen Zorn des Professors Lidenbrock zu schildern verzichte ich. Der Tag verstrich, ohne daß ein Schatten in den Grund des Kraters hinab fiel. Hans rührte sich nicht vom Platz; doch mußte er sich fragen, worauf wir warteten, wenn er überhaupt sich eine Frage stellte! Nicht ein einziges Wort gönnte mir mein Oheim. Seine unveränderlich nach dem Himmel gerichteten Blicke verloren sich in der grauen und nebeligen Farbe.
Am 26. noch nichts. Den ganzen Tag über fiel Regen mit Schnee vermischt. Hans errichtete aus Lavastücken eine Hütte. Ich ergötzte mich ein wenig an der Betrachtung der tausend an den Seiten des Kegels improvisirten Cascaden, indem jeder Stein das betäubende Getöse vermehrte.
Mein Oheim konnte sich nicht mehr ruhig halten. Auch ein geduldigerer Mensch mußte darüber aufgebracht werden; denn es war wirklich ein Scheitern im Hafen.
Aber der Himmel knüpft an den großen Schmerz unablässig auch die große Freude, und ließ dem Professor Lidenbrock eine Befriedigung zu Theil werden, die seiner verzweifelnden Unlust entsprach.
Auch am folgenden Tage war der Himmel noch bedeckt; aber Sonntags, 28. Juni, am vorletzten Tag des Juni, brachte der Mondwechsel auch einen Wechsel der Witterung.
Die Sonne ergoß reichliche Strahlen in den Krater. Der geringste Berg, jeder Felsen, jeder Stein und jede Erhöhung nahm Theil an der Bestrahlung und warf sofort seinen Schatten auf den Boden. Der des Scartaris zeichnete sich ab wie eine belebte Spitze, die zugleich mit dem
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