Reise ohne Ende
zu akzeptieren?
Ich werde es nie wissen. Und vielleicht will ich es auch nicht …
Seine Schicht war zu Ende. Er ging zum Meditationszentrum und versuchte, Klarheit in seine Gedanken zu bringen und sie frei schweben zu lassen. Nach einiger Zeit gelang es ihm, seine Gedanken auf einen zentralen Lichtpunkt zu lenken, eine universelle Sonne im Zentrum des Universums, eine Reflexion des universellen Lichtpunkts in ihm selbst, und die Sterne, die Planeten, die Sonne, Galaxis und Atomkerne drehten sich um dieses unsichtbare Zentrum in Strömung und Gegenströmung, Gewalt und Frieden in ewiger Ebbe und Flut, Tod und Leben als ein Teil des großen Kontinuums. Als er aus dem Meditationszentrum hinausging, hatte er seinen Frieden gefunden.
Er blieb zwei Stunden in der Kinderstation und baute mit Gilmarina und Gilrita Sonnensystem-Modelle, bereitete die älteren Kinder darauf vor, daß sie vielleicht schon bald immer wieder für eine Stunde auf die Brücke würden kommen müssen, um zu lernen, wie die Schirme bedient und wie Botschaften entgegengenommen wurden. Der Gedanke an neue Aufgaben versetzte sie in Aufregung, da sie die Tragödie noch nicht ermessen konnten, der sie sie verdankten. Jemand würde es ihnen sagen müssen, in nächster Zukunft. Er wollte es nicht sein.
Sein Frieden verschwand jedoch abrupt, als er hörte, daß der Computer seinen Namen ausgespuckt hatte und daß er dazu ausersehen war, auf Sturm hinabzufliegen, um Brennstoff zu holen.
Raes Gesicht war ernst, und sie konnte ihm nicht in die Augen sehen. »So sieht es aus, Gildoran. Du kannst mir glauben …« Sie konnte nicht zu Ende sprechen.
»Nein«, schluchzte Gilmerrit und klammerte sich mit beiden Händen an ihm fest. »Nein, nicht Gildoran. Nehmt mich an seiner Stelle – ich kann euch nicht soviel nützen wie er …«
»Glaubst du vielleicht, das würde ich nicht lieber tun?« fragte Gilrae kalt. »Du bist aber nicht kompetent und aus medizinischen Gründen disqualifiziert. Bei einem Selbstmordversuch ist der oder die Betreffende für drei Jahre disqualifiziert. Geh von der Brücke, oder ich lasse dich in die Krankenabteilung hinuntertragen.«
Gilmerrit holte schockiert tief Luft und beruhigte sich nach einem einzigen Blick. »Ich bleibe – und versuche es nur, mich wegtragen zu lassen.«
Gildorric sagte zögernd: »Laß mich an Stelle von Gildoran gehen, Rae. Er ist noch ein Junge.«
»Er steht auf der Kapitänsliste«, sagte Gilrae unbeugsam, doch dann brach es in ihrem Gesicht durch. »Ich habe es versucht. Ich habe alles dreimal durch den Computer geschickt. Gildoran, Gilredic, Gilrannock. Gilnosta war die vierte Wahl, aber sie ist unsere einzige verbleibende Ärztin. Gilban ist alt genug, um sich zurückzuziehen – älter als ich. Deine Kenntnisse sind für uns mehr wert als Gildorans Jugend, Dorric. Das ist alles in Erwägung gezogen worden.«
Gildoran hatte sich gefragt, wie er sich mit dem Tod vor Augen fühlen würde. Nun wußte er es: wie betäubt und ungläubig. Gab es jemanden, der um Gilredic und Gilrannock so wie Rae und Gilmerrit um ihn weinen würde, jemand, der der Entscheidung des Computers mit wilder Ablehnung und Verzweiflung widersprechen würde? Er hoffte es, und zur gleichen Zeit hoffte er, daß es nicht so war. Gilmarina würde denken, er habe sie verlassen, wie die Puhbären sie verlassen hatten, wie die anderen, die gestorben waren, sie verlassen hatten. Er konnte es nicht ertragen, daß Gilmarina vielleicht denken könnte, er habe sie verlassen.
Was hieße das schon, wenn ich tot wäre? Warum soll ich mir darüber Gedanken machen, was sie von mir denkt? Wenn es soweit ist, werde ich mir keine Gedanken mehr machen. Es wird nichts mehr da sein, das sich Gedanken machen kann.
Das aber wies er von sich. Er glaubte nicht an ein persönliches Überleben nach dem Tode, aber er war überzeugt, daß es Dinge gab, die nach dem Tod weiterlebten, und, tot oder lebendig, Gilmarinas Vertrauen zu ihm war etwas, das er nicht enttäuschen wollte, selbst nach seinem Tod nicht. Er sagte ruhig zu Rae: »Ich werde gehen. Weine nicht – es hätte jeden von uns treffen können.« Er war dankbar dafür, daß es nicht Rae war, die ihn dort hinabbefehlen mußte, und er wußte in seinem Innern, daß Rae genauso fühlte. Er war, das wußte er jetzt, eines ihrer Babys. Er kannte seine eigenen Gefühle für Marina – könnte er sie dort hinab in den fast sicheren Tod schicken? –, und er wußte, wie Rae fühlen
Weitere Kostenlose Bücher