Reise ohne Ende
oben bleiben und Zeichen geben, falls sie kommen und nach uns suchen …«
»Solange es dunkel ist, kommen sie nicht, und das weißt du so gut wie ich. Sie werden denken, daß wir uns dazu entschlossen haben, in der verlassenen Stadt ein Lager aufzuschlagen. Sie würden es auf keinen Fall schaffen, das ganze Gelände hier in der Dunkelheit abzusuchen. Und Rae ist verletzt«, fiel ihm noch ein. Hinter der Ruhe in ihrer Stimme konnte er die straffe Kontrolle spüren. Sie mußte erhebliche Schmerzen haben, und er besaß das einzige Licht, bei dem sie sich ihre Verletzungen ansehen – von einer Behandlung konnte wohl kaum die Rede sein – konnten.
»Sprich mit mir, Ramie – laß mich wissen, wo du bist, damit ich nicht auf Rae falle und sie verletze, wenn ich herunterkomme«, sagte er und band sich seinen Handscheinwerfer sorgfältig an den Gürtel, damit er ihm beim Abstieg nicht verlorenging.
»Ich bin hier«, sagte sie, »und ich stelle mich über Rae – nein, Rae, versuche, dich nicht zu bewegen –, damit du in der Dunkelheit nicht gegen sie stößt.«
Er konnte in der Dämmerung noch undeutlich den unsicheren Boden unter seinen Füßen erkennen. Nun gewöhnten sich seine Augen an die Beleuchtung, und er vermochte in der tieferen Dunkelheit unter sich die Gestalten der beiden Frauen auszumachen. Er hatte ein ungutes Gefühl, als er sich auf seinen Abstieg vorbereitete; der Sturz hatte Rae verletzt, aber Ramie schien nichts passiert zu sein. Er hielt seinen Scheinwerfer auf seine Füße gerichtet, so daß er den Abhang von Geröll im Auge behalten konnte, der in das Loch führte. Er versuchte, auf ihm herunterzustolpern, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Trotzdem kam er ins Rutschen und landete Hals über Kopf auf den anderen. Ramie schützte die ältere Frau mit ihrem Körper, so daß Rae von Gildorans Gewicht nicht verletzt wurde.
»Na also, das wäre das«, sagte er, als er wieder Luft bekam. »Komm Rae, jetzt wollen wir uns mal deinen Knöchel anschauen. Ramie, halt du die Lampe …«
»Nein, halt du die Lampe. Ich habe schon einen Turnus lang mit den Medizinern zusammengearbeitet, und ich kenne mich aus«, sagte das Mädchen schnippisch. »Alles klar, Gildoran?« Er spürte, wie ihre Hand ihn in der Dunkelheit kurz berührte, als brauche sie das als Beruhigung. Sie hielt seine Hand fest umklammert, aber ihre Stimme war unbewegt. »Rae, laß mich versuchen, ob ich deinen Stiefel herunterkriege – nein, bleib ruhig liegen, du Ärmste, versuche, dich nicht zu bewegen. Gildoran, versuche du …« Als Raes unterdrückter Schmerzensschrei der leisesten Berührung ihres Stiefels folgte, sagte sie: »Nein, versuche nicht, ihn aufzuschnüren oder auszuziehen. Ich habe eines von den stärkeren Messern dabei; damit kann ich durch den Plastikstoff des Stiefels schneiden. Wir schneiden den Stiefel einfach ab.«
Selbst das war eine harte Sache. Raes Gesicht wurde im Licht des Scheinwerfers immer blasser, und als der Stiefel und der Strumpf heruntergeschnitten waren, zeigte sich der Knöchel als eine blutige Schwellung von durchbrochener Haut, durch die kleine Knochensplitter ragten. Gildoran schüttelte sich und wandte seine Augen ab. Er schämte sich sofort darüber, denn wenn Rae es aushalten konnte, dann hätte er zumindest das Hinsehen ertragen müssen.
»Ich habe in meiner Tasche ein paar Medikamente für den Notfall«, sagte Ramie ruhig, obwohl sie blasser als gewöhnlich war, wie er erkennen konnte. »Darunter auch Desinfektionspulver – mehr kann ich im Augenblick nicht tun. Dreh das Licht hierher, Doran, damit ich sehen kann, was ich mache.«
Gildoran fühlte sich hilflos, wie er so dastand und nur das Licht hielt, während Gilramies kompetente Hände die Wunde mit Desinfektionspulver reinigten, einen Verband anlegten und, da die Bandagen zu dünn waren, ein Stück aus ihrem Unterkleid herausrissen und es zu einer festen Bandage werden ließen. Gildoran kniete neben Rae und hielt das Licht. Als er jedoch den Schmerz der Frau sah, klemmte er schließlich das Licht in einer Felsennische fest, schloß Raes zitternden Körper in eine feste Umarmung und drückte sie an sich, während Ramie ohne Zaudern ihrer schmerzhaften Arbeit nachging. Rae klammerte sich an ihn und zitterte, und während Gildoran sie so hielt, schien es ihm einen Augenblick lang, als sei sie so klein und jung wie die Kinder auf dem Schiff, die er gehalten und getröstet hatte, obwohl sie keinen Ton mehr von sich gab. Bisher war Rae
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