Reise um den Mond
(S. 119.)
– Nun, mit all diesen Lavastücken, lang wie Spindeln, gleicht sie einem ungeheuren Spiel mit durcheinandergeworfenen Stäbchen. Man braucht nur einen Haken, um sie nach einander heraus zu ziehen.
– Sei doch ernst! sagte Barbicane.
– Um ernst zu sein, versetzte Michel ruhig, wollen wir Knochen anstatt Stäbchen annehmen. Dann wäre diese Ebene nur ein ungeheures Knochenfeld, worauf die sterblichen Ueberreste von Tausenden hingestorbener Generationen ruhten. Würdest Du eine solche wirkungsvolle Erklärung vorziehen?
– Die eine taugt so wenig, wie die andere, entgegnete Barbicane.
– Teufel! Du bist peinlich! versetzte Michel.
– Mein würdiger Freund, fuhr der gesetzte Barbicane fort, es kommt wenig darauf an zu wissen, womit dies zu vergleichen, während man nicht weiß, was es ist.
– Gut geantwortet, rief Michel. Ich lerne daraus mit Gelehrten mich besprechen!«
Inzwischen fuhr das Projectil mit fast gleichförmiger Geschwindigkeit längs der Mondscheibe immer weiter. Die Reisenden dachten, wie man leicht denken kann, nicht einen Augenblick an Ruhe. Jede Minute änderte die vor ihren Blicken entschwindende Aussicht. Gegen halb zwei Uhr Morgens sahen sie die Gipfel eines anderen Gebirges. Barbicane befragte seine Karte und erkannte Eratosthenes.
Es war ein viertausendfünfhundert Meter hohes Ringgebirge, einer von den auf dem Trabanten so zahlreichen Circus. Und bei diesem Anlaß erzählte Barbicane seinen Freunden von der merkwürdigen Ansicht Keppler’s über die Entstehung dieser Circus. Dem berühmten Mathematiker zufolge sollten diese kraterförmigen Vertiefungen von Menschenhand gegraben worden sein.
»In welcher Absicht? fragte Nicholl.
– In sehr natürlicher Absicht! erwiderte Barbicane. Die Seleniten wollten darin Zuflucht und Schutz gegen die Sonnenstrahlen suchen, welche sie vierzehn Tage hinter einander auszustehen haben.
– Die Seleniten sind doch keine Dummköpfe! sagte Michel.
– Sonderbare Idee! erwiderte Nicholl. Aber es ist wahrscheinlich, daß Keppler nicht mit den wirklichen Maßen dieser Circus bekannt war, denn es wäre eine für Seleniten unausführbare Riesenarbeit gewesen!
– Weshalb, wenn auf dem Mond die Schwere sechsfach geringer ist, wie auf der Erde? fragte Michel.
– Wenn aber die Seleniten sechsfach kleiner sind? entgegnete Nicholl.
– Und wenn es gar keine Seleniten giebt!« fügte Barbicane bei. Damit schloß diese Unterhaltung.
Bald verschwand Eratosthenes unterm Horizont, ohne daß das Projectil nahe genug kam, um genaue Beobachtungen anzustellen.
Dieser Berg schied die Apenninen von den Karpathen.
In der Orographie des Mondes hat man einige Gebirgsketten unterschieden, welche hauptsächlich der nördlichen Hemisphäre angehören. Einige jedoch befinden sich auf der südlichen.
Es folge hier ein Verzeichniß dieser verschiedenen Ketten in der Richtung von Süden nach Norden, mit Angabe ihrer Breite und Höhe, nach den höchsten Gipfeln:
Dörfel 84° – S. Br. 7603 Meter.
Leibnitz 65° S. Br. 7600 Meter.
Rook 20°–30° S. Br. 1600 Meter.
Altai 17°–28° S. Br. 4047 Meter.
Cordilleren 10°–20° S. Br. 3898 Meter.
Pyrenäen 8°–18° S. Br. 3631 Meter.
Ural 5°–13° S. Br. 838 Meter.
Alembert 4°–10° S. Br. 5847 Meter.
Hämus 8°–21° N. Br. 2021 Meter.
Karpathen 15°–19° N. Br. 1939 Meter.
Apenninen 14°–27° N. Br. 5501 Meter.
Taurus 21°–28° N. Br. 2746 Meter.
Schwarzwald 17°–29° N. Br. 1170 Meter.
Kaukasus 32°–41° N. Br. 5567 Meter.
Alpen 42°–49° N. Br. 3617 Meter.
Von diesen ist die Apenninenkette die bedeutendste, die sich hundertundfünfzig Lieues weit erstreckt, eine Länge, welche jedoch den größeren Gebirgszügen der Erde nachsteht. Die Apenninen ziehen längs dem Nordrande des Regenmeeres, und ihre Fortsetzung nördlich bilden die Karpathen von ungefähr hundert Meilen Länge.
Die Reisenden konnten im Vorbeifahren nur den höchsten Theil derjenigen Apenninen sehen, welche vom 10° westlicher bis zum 16° östlicher Länge ziehen; aber die Karpathenkette erblickten sie in ihrer ganzen Ausdehnung von 18–30° östlicher Länge, und konnten ihre Vertheilung aufnehmen.
Eine Vermuthung schien ihnen sehr gerechtfertigt. Als sie diese Karpathenkette ansahen, wie sie hie und da kreisrunde Formen annimmt und von steilen Spitzen beherrscht wird, schlossen sie daraus, sie habe ehemals bedeutende Circus gebildet. Diese Gebirgsringe mußten wohl von der ungeheuren
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