Reise um den Mond
sie kaum sechstausend Meter breit. Der Circus des Cantal in Frankreich zählt zehn Kilometer; auf Ceylon mißt der Circus der Insel siebenzig Kilometer, und er wird als der größte des Erdballs angesehen. Was wollen diese Diameter gegen den des Clavius bedeuten, welchen wir in diesem Augenblick betrachten?
– Wie breit ist er denn? fragte Nicholl.
– Zweihundertsiebenundzwanzig Kilometer, erwiderte Barbicane. Dieser Circus ist allerdings der bedeutendste auf dem Mond; aber manche andere messen zweihundert, hundertundfünfzig, hundert Kilometer!
– Ach! meine Freunde, rief Michel aus, stellen Sie sich vor, was mußte dieses friedliche Nachtgestirn sein, als seine Krater voll Donner und Blitz alle auf einmal Lavaströme, Steinhagel, Rauchgewölke und Feuerstrahlen auswarfen! Was für ein wundervolles Schauspiel damals, und jetzt welcher Verfall! Dieser Mond ist nur noch das magere Gerippe eines Kunstfeuerwerks, dessen Petarden, Raketen, Serpentofen, Sonnen nach einem prachtvollen Glanz nur traurige Auszackungen von Karton hinterlassen haben. Wer vermöchte die Ursache, den Grund, die Berechtigung dieser gewaltsamen Umbildung anzugeben?«
Barbicane hörte nicht auf Michel Ardan. Er betrachtete diese Wälle des Clavius, die mehrere Lieues dick aus breiten Gebirgen gebildet waren. Auf dem Grunde der ungeheuren Vertiefung befanden sich hundert kleine erloschene Krater, welche den Boden wie einen Schaumlöffel durchlöcherten, und von einem fünftausend Meter hohen Spitzberg beherrscht waren.
Die Ebene umher bot einen wüsten Anblick. Es giebt nichts so Dürres, wie diese Bodenerhöhungen, nichts so Trauriges, als diese Bergtrümmer, und wenn man den Ausdruck gebrauchen kann, diese Stücke von Bergen und Gipfeln, welche den Boden bedeckten! Der Trabant schien an dieser Stelle geborsten und zertrümmert zu sein.
Das Projectil fuhr immer weiter, und das Chaos blieb unverändert sich gleich. Die Circus, die Krater, die eingestürzten Berge reiheten sich ununterbrochen aneinander an. Keine Ebenen, keine Meere. Eine Schweiz, ein Norwegen ohne Ende. Endlich, im Centrum dieser zerklüfteten Gegend, ein Höhepunkt, der glänzendste Berg der Mondscheibe, der blendende Tycho, welchem die Nachwelt den berühmten Namen des dänischen Astronomen bewahren wird.
Wenn man bei wolkenlosem Himmel den Vollmond betrachtet, bemerkt Jeder diesen glänzenden Punkt der südlichen Hemisphäre. Er enthält ein so concentrirtes Licht, daß die Bewohner der Erde trotz ihrer Entfernung von hunderttausend Lieues ihn ohne Fernrohr wahrnehmen können. Man denke sich nun, wie stark dieses Licht in den Augen der nur hundertundfünfzig Lieues entfernten Beobachter sein mußte! Durch den reinen Aether war sein Funkeln derart unerträglich, daß Barbicane und seine Freunde das Augenglas ihrer Lorgnetten mit Rauch schwärzen mußten, um seinen Glanz auszuhalten. Darauf schauten, betrachteten sie stumm, ließen kaum nur einige Töne der Bewunderung vernehmen. Alle ihre Gefühle, alle ihre Eindrücke concentrirten sich in ihrem Anschauen.
Tycho gehört dem System der strahlenden Berge an, wie Aristarch und Kopernicus. Aber von allen der vollständigste, am stärksten ausgesprochene, giebt er ein entschiedenes Zeugniß von der erschrecklichen vulkanischen Wirkung, durch welche die Bildung des Mondes zu Stande kam.
Tycho liegt unterm 43° südl. Breite und 12° östl. Länge. In seinem Centrum befindet sich ein Krater von siebenundachtzig Kilometer Breite. Er neigt etwas zur elliptischen Form, und ist von Ringwellen umgeben, die östlich und westlich fünftausend Meter hoch die äußere Ebene beherrschen. Es ist ein Haufen Montblancs um ein gemeinsames Centrum herum und mit einer Strahlenkrone um’s Haupt.
Feuerspeiende Mondvulkane. (S. 158.)
Das wahre Bild des unvergleichlichen Gebirges, die Gesammtgruppe der Höhen, welche zusammenlaufen, die inneren Anschwellungen seines Kraters hat die Photographie nie darzustellen vermocht. In der That erscheint Tycho beim Vollmond in seinem ganzen Glanz. Dann fehlen aber die Schatten, die Verkürzungen der Perspective sind verschwunden, und die Bilder werden weiß. Ein leidiger Umstand, denn es wäre sehr interessant, diese seltsame Gegend mit photographischer Genauigkeit darzustellen. Es ist nur ein Haufen von Löchern, Kratern, Circus, ein Durchkreuzen von Firsten zum Schwindeln; dann unabsehbar ein Netz von Vulkanen über einem warzigen Boden. Man begreift dann, daß das Aufbrudeln des centralen
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