Reisen und Abenteuer des Kapitän Hatteras
Formen.
Am folgenden Morgen gegen drei Uhr gewahrte man nordöstlich Sanderson Hope; das Land blieb etwa fünfzehn Meilen links liegen; die Berge schienen röthlich rußbraun gefärbt. Am Abend sah man einige Wallfische von der Sorte, welche Flossen auf dem Rücken haben, mitten zwischen den Eisblöcken sich erlustigen.
Während der Nacht vom 3. auf 4. Mai konnte der Doctor zum erstenmal die Sonne am Rande des Horizonts streifen sehen, ohne daß ihre leuchtende Scheibe untertauchte; seit 31. Januar hatten ihre Bahnkreise täglich zugenommen, und es herrschte jetzt ununterbrochene Tageshelle.
Für Zuschauer, die es nicht gewohnt sind, ist diese ununterbrochene Dauer des Tages etwas erstaunlich Merkwürdiges, das selbst beschwerlich wird; man kann kaum glauben, wie sehr die Dunkelheit der Nacht für die Gesundheit der Augen nöthig ist; es verursachte dem Doctor wirklichen Schmerz um sich an dies fortwährende Licht zu gewöhnen, welches durch den Reflex der Strahlen auf den Eisebenen noch schmerzhafter blendete.
Am 5. Mai fuhr der Forward über den zweiundsiebenzigsten Breitegrad. Zwei Monate später hätte er hier zahllose Wallfischfahrer getroffen, welche in diesen hohen Strichen dem Fischfang obliegen; aber die Straße war noch nicht frei genug, daß diese Fahrzeuge es wagen konnten, in’s Bassins-Meer zu dringen.
Am folgenden Morgen kam die Brigg, nachdem sie vor der Fraueninsel vorübergefahren, vor Uppernawik an, der nördlichsten Niederlassung Dänemarks an diesen Küsten.
Zehntes Capitel.
Gefährliche Fahrt.
Shandon, der Doctor Clawbonny, Johnson, Foker und der Koch Strong stiegen in das Wallfischboot und fuhren an’s Ufer.
Der Gouverneur, seine Frau und fünf Kinder, sämmtlich von Eskimo-Race, kamen höflich dem Besuch entgegen.
Der Doctor verstand als Philolog ein wenig dänisch, welches zur Anknüpfung freundlicher Beziehungen hinreichte auch verstand der Eismeister Foker, zugleich Dolmetscher der Expedition, etwa zwanzig Wörter Grönländisch; und wenn man nicht ehrgeizig ist, kommt man mit zwanzig Wörtern schon weit.
Der Gouverneur, ein Eingeborener der Insel Disko, war nie aus seinem Geburtsland herausgekommen; er begrüßte im Namen seiner Stadt, die aus drei hölzernen Häusern, dem des Gouverneurs, des lutherischen Pfarrers und einem Schulhause und Magazinen besteht, welche die Güter gestrandeter Schiffe bergen. Der Rest besteht aus Schneehütten, in welche die Eskimo’s durch eine einzige Oeffnung hineinkriechen.
Ein großer Theil der Bewohner war dem Forward entgegengefahren, und mehr als ein Eingeborener fuhr in seinem fünfzehn Fuß langen und höchstens zwei Fuß breiten Kaïak bis in die Mitte der Bai.
Der Doctor wußte, daß das Wort Eskimo einen Menschen bezeichnet, der rohe Fische ißt ; aber er wußte auch, daß diese Benennung im Lande wie ein Schimpfwort gilt; daher verfehlte er auch nicht, die Bewohner »Grönländer« zu nennen.
Und doch war an den öligen Robbenfell-Kleidern und Stiefeln, an der schmutzigen und übelriechenden Umhüllung, welche Männer von Frauen nicht unterscheiden läßt, leicht zu erkennen, womit diese Leute sich nährten; zudem waren sie, wie alle Völker, welche von Fischen leben, zum Theil vom Aussatz befallen, aber sie befanden sich darum nicht eben übler.
Der lutherische Pfarrer und seine Frau, mit welchen der Doctor besonders zu plaudern sich versprach, waren auf einem Ausflug nach Proven, südlich von Uppernawik, so daß er sich auf die Unterhaltung mit dem Gouverneur beschränkt sah. Dieser oberste Beamte schien nicht sehr gelehrt; zwar verstand er etwas mehr als ein Esel, aber des Lesens war er nicht völlig kundig.
Doch befragte er ihn über Handel, Gewohnheiten und Sitten der Eskimo’s, und vernahm aus seiner Geberdensprache, daß die Robben, nach Kopenhagen geliefert, etwa vierzig Pfund galten, ein Bärenfell mit vierzig dänischen Dollars, ein blaues Fuchsfell mit vier, ein weißes mit zwei bis drei bezahlt wurde.
Der Doctor wünschte auch, um sich persönlich zu unterrichten, eine Eskimohütte zu besuchen; man kann sich kaum vorstellen, wozu sich ein Gelehrter in seinem Wissensdrang versteht; zum Glück war die Oeffnung zu enge, so daß er trotz allem Eifer nicht hinein kommen konnte. Und das war auch besser, denn es giebt nichts so Widerliches, als diese Anhäufung todter oder lebender Gegenstände, Robben-oder Eskimofleisch, fauler Fische und stinkender Kleider, womit eine Grönländerhütte ausgestattet ist; keine
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