Reisetagebuecher
in Unord.
gebracht und in der Anstrengung es wieder herzustellen, hört und sieht er weilchenweise nichts anderes. Er hat nämlich den Bogen an einer Stelle zu beschreiben angefangen, wo er aus irgend einem Grunde nicht hätte anfangen dürfen. Nun ist es aber doch geschehn und sein Staunen darüber erneuert sich öfters. Er muß den Bogen immerfort wieder umdrehn, um den schlechten Prot.anfang zu glauben. Da er aber von diesem schlechten Anfang bald abgelassen und auch anderswo zu schreiben angefangen hat, kann er, wenn eine Spalte zu Ende ist, ohne großes Auseinanderfalten und Untersuchen unmöglich wissen, wo er richtigerweise fortzusetzen hat. Die Ruhe die dadurch die Angeleg. gewinnt, läßt sich mit jener früherndurch die Bet. allein erreichten gar nicht vergleichen.
29
Reise Juni/Juli 1912
Reise Weimar-Jungborn vom 28 Juni 1912 - 29 Juli
Freitag 28. V (Juni 1912) Abfahrt Staatsbahn. Gut beisammen. Sokoln verzögern die Zugsabfahrt.
Ausgezogen in ganzer Länge auf der Bank gelegen. Elbeufer. Schöne Lage der Orte und Villen, ähnlich den Seeufern. Dresden. Mengen der frischen Waren überall. Reinliche korrekte Bedienung.
Ruhig gesetzte Worte. Massives Aussehn der Bauten infolge der Betontechnik, die doch z. B. in Amerika nicht so wirkt. Das sonst ruhige von Wirbelringen marmorierte Elbewasser. - Leipzig.
Gespräch mit unserem Dienstmann. Max fragt ihn trotzdem er wie unser Großvater aussieht nach Mädchen. Opels Hotel. Der halbe neue Bahnhof. Schöne Ruine des alten. Gemeinsames Zimmer.
Von 4 Uhr ab lebendig begraben, weil Max wegen des Lärms die Fenster zumachen muß. Großer Lärm. Dem Gehör nach zieht ein Wagen den andern hinter sich. Die Pferde wegen des Asphalts wie laufende Reitpferde anzuhören. Das sich entfernende durch seine Unterbrechungen Gassen und Plätze andeutende Läuten der Elektrischen. Abend in Leipzig. Maxens topographischer Instinkt, mein Verlorensein. Dagegen stelle ich, später vom Führer bestätigt, einen schönen Erker am Fürstenhaus fest. Nachtarbeit auf einem Bauplatz, wahrscheinlich auf der Stelle von Auerbachs Keller. Nicht zu beseitigende Unzufriedenheit mit Leipzig. Unentschlossenheit in den Bordellgäßchen. Mein Schuhbandbinden wird von der Gasse zum Fenster hin besprochen.
Lockendes Cafe Oriental. "Taubenschlag" Bierstube. Der schwer bewegliche langbärtige Biervater.
Seine Frau schenkt ein. Zwei große starke Töchter bedienen. Fächer in den Tischen. Lichtenhainer in Holzkrügen. Schandgeruch wenn man den Deckel öffnet. Ein schwächlicher Stammgast, rötliche magere Wangen, faltige Nase sitzt mit großer Gesellschaft, bleibt dann allein zurück, das Mädchen setzt sich mit ihrem Bierglas zu ihm. Das Bild des vor 12 Jahren verstorbenen Stammgastes, der 14
Jahre lang hergegangen ist. Er hebt das Glas, hinter ihm ein Gerippe. Viele stark verbundene Studenten in Leipzig. Viel Monokel. Kurzer Besuch in einem B. Ein Mädchen mit Brustschmuck nachtmahlt ein Rippchen. Unsere undeutliche Auskunft über den Grund unseres sofortigen Weggehns.
Freitag (Samstag) 29. (Juni 1912) Frühstück. Verkennung einer Annäherung zwischen dem Hotelier und seiner Tochter. Der Herr, der Samstag die Quittung einer Geldsendung nicht unterschreibt. Spaziergang. Max zu Rohwolt. Buchgewerbemuseum. Kann mich vor den vielen Büchern nicht halten. Die altertümlichen Straßen dieses Verlagsviertels, trotz gerader Straßen und neuerer allerdings schmuckloser Häuser. Öffentliche Lesehalle. Mittagmahl in "Manna". Schlecht.
Brandeis dort getroffen. Rendezvous mit Max vor dem Goethedenkmal um 2. Verabschiedung Brandeis. Wilhelms Weinstube, dämmeriges Lokal in einem Hof. Rohwolt. Jung rotwangig, stillstehender Schweiß zwischen Nase und Wangen, erst von den Hüften an beweglich. Graf Bassewitz, Verfasser von "Judas" groß, nervös, trockenes Gesicht, Spiel in der Taille, gut behandelter starker Körper. Hasenclever, jüdisch, laut, viel Schatten und Helligkeit im kleinen Gesicht, auch bläuliche Farben. Alle 3 schwenken Stöcke und Arme. Eigentümliches tägliches Mittagessen in der Weinstube. Große breite Weinbecher mit Citronenscheiben. Pinthus, Korrespondent des B. T., dick, flacheres Gesicht, korrigiert dann im Cafe Francais die Schreibmaschinenniederschrift einer Kritik der "Johanna v. Neapel" (Uraufführung am Abend vorher). Vorschlag des Hasencl. Den Nachmittagskaffee in einem B. zu trinken. Nicht eingelassen, weil die Damen bis 4 Uhr schlafen. Zusammenlauf der
Weitere Kostenlose Bücher