Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
dass er solche Nachlässigkeiten sogar mit Absicht einkalkulierte. Denn wenn man das Bild anschließend aus einiger Entfernung betrachtete, war der Eindruck von einer solchen Vollkommenheit, dass man meinte, das Dargestellte müsse leben.
Das Porträt, das der Meister von sich selbst anfertigte, war ganz in warmen, erdigen Tönen gehalten. Es zeigte ihn in einem rotbraunen Mantel mit Malerhaube, die Hände hielt er vor dem Körper wie zum Gebet gefaltet. Für den Kragen und die Haube benötigte er eine Menge Bleiweiß.
Die Herstellung dieses Pigmentes hatte mir der Meister zuvor genau erklärt. Dazu goss ich so viel Essig in einen Tontopf, dass der Boden ganz bedeckt war, gab einige Bleirollen hinein und verschloss das Gefäß mit Pergament. Danach stellte ich den Topf in einen größeren, der mit Pferdemist gefüllt war. Durch die Wärme des Pferdedungs verdampfte der Essig, das Blei zersetzte sich und zerfiel zu Pulver. Der beißend scharfe Geruch lag tagelang wie eine Wolke über dem Atelier.
Als ich eines Morgens in die Werkstatt kam, bemerkte ich, dass der Meister an dem Selbstporträt etwas verändert hatte. Der weiße Kragen war nunmehr zinnoberrot, und anstelle der hellen Malerhaube trug er eine Kappe in der Farbe des Kragens.
Jetzt gefiel mir das Bild noch besser. Das ganze Augenmerk des Betrachters konzentrierte sich auf das Gesicht, das die hellste Zone in einer dunklen Umgebung bildete. Die Darstellung war nicht geschönt. Sie zeigte den Meister so, wie er in Wirklichkeit aussah, mit schwammigen Wangen und Kinn, einer fleischigen, aufgedunsenen Nase, fleckiger, großporiger Haut und Haaren, die wie unter einer feinen Staubschicht lagen. Doch die müden Gesichtszüge standen im Gegensatz zu seinem aufmerksamen Blick, der Ruhe ausstrahlte und Entschlossenheit zugleich.
„Auch wenn das Gemälde noch nicht fertig ist, so ist doch jetzt schon zu sehen, dass Ihr ein großartiges Werk schaffen werdet!“, rief ich begeistert. „Ganz sicher wird man Euch eine hohe Summe dafür zahlen.“
Mir war wieder eingefallen, was Pastor Goltzius über berühmte Künstler erzählt hatte. Dass nämlich viele Käufer sich Porträts einiges kosten ließen.
Der Meister erstarrte kurz. Dann drehte er mit einer abrupten Bewegung den Pinsel um und setzte da, wo sich die Haare unterhalb der Kappe kräuselten, mit dem Stielende ein paar halbkreisförmige Schraffuren in die noch feuchte Farbe.
„Was redest du da von ‘großartigem Werk’ ? Ein Maler ist ein Handwerker, genauso wie ein Bäcker, Zimmermann oder Fleischer. Ich male seit über vier Jahrzehnten, nach einer solch langen Zeit sollte ich mein Metier wohl verstehen. Im Übrigen werde ich dieses Bild niemals verkaufen. Ich male es ganz allein für mich.“
Verlegen senkte ich den Kopf. Hoffentlich sah mir der Meister nach, dass ich so vorschnell und unüberlegt gesprochen hatte.
„Seit meiner Jugend habe ich mich immer wieder selbst porträtiert. Ich wollte prüfen, wie die Jahre mich verändert haben. Wenn ich heute auf die Leinwand schaue, dann sehe ich einen alten, müden Mann vor mir, der einmal der gefragteste Maler in ganz Amsterdam war. Seine Zeit ist vorüber. Vielleicht wird er bald schon von dieser irdischen Bühne abgehen.“
Der Meister trat einen Schritt zurück, blieb eine Weile reglos vor der Leinwand stehen und machte mit einer übertriebenen Geste eine Verbeugung vor seinem Konterfei. Dabei lachte er leise; es klang höhnisch.
Mir fiel in diesem Augenblick keine passende Antwort ein. Ich scheute den Gedanken an Tod und Vergänglichkeit, obwohl ich schon viele Beerdigungen bei uns im Dorf erlebt hatte. In unserer Familie waren bereits meine Großeltern und vier meiner Geschwister gestorben, ebenso zwei Onkel und eine Tante. Außerdem wollte ich von dem Meister noch so viel wie möglich über Malerei erfahren.
Eine Weile stand er ganz still und starrte nur aus dem Fenster. Als er weitersprach, war es so, als redete er mit sich selbst. „Allerdings kommt ein Maler heutzutage mit handwerklicher Geschicklichkeit allein nicht weit. Was er braucht, ist vor allem Geschäftssinn. Meine Frau war in diesen Dingen viel tüchtiger als ich. Und als dann kam dieser unselige Krieg gegen England kam … Hätte ich damals Saskia nur um Rat fragen können. Dann hätte ich nicht auf die falschen Stimmen gehört. Und dabei mein ganzes Vermögen verloren.“
Er legte Pinsel und Palette zur Seite und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. „Ach, was rede ich
Weitere Kostenlose Bücher