Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
Sie steckte sich ein Tuch vor die Brust, nahm den Laib Brot und schnitt dem Meister eine Scheibe ab.
„Nur gut, dass die selige meesteres das hier nicht miterleben muss. Sie würde sich im Grab rumdrehen“, murmelte die Magd und schlurfte missmutig zum Kamin, um noch einige Torfziegel nachzulegen.
Still schweigend aß der Meister sein Brot und trank einen Humpen Bier. Danach holte er die Bibel aus dem kleinen Wandschrank neben dem Bett und las, wie nach jedem Essen, aus der Heiligen Schrift vor.
Diesmal hörte ich nicht sehr aufmerksam zu, meine Gedanken schweiften ab. Warum hatte Rebekka mit so harschen Worten zu ihrem Herrn gesprochen? Zwar fand auch ich es verwunderlich, dass der Meister einen alten Helm kaufte, wo er doch kaum genügend Geld für neue Farben und Leinwand hatte. Dennoch war ich mir sicher, dass derartig seltene und kuriose Dinge für den Meister unentbehrlich waren, um durch sie Anregung für seine Kunst zu finden.
Einige Tage später ging ich früh morgens aus meiner Schlafkammer hinunter in die Stube. Noch im Flur hörte ich, wie Cornelia nach dem Meister rief. In ihrer Stimme lag Angst.
„Was ist mit dir, Vater, geht es dir nicht gut? Sag doch etwas. Kann ich dir helfen?“
Der Meister saß noch im Schlafrock auf seinem Bett und hatte Mühe, sich zu erheben. Ich trat neben Cornelia, sodass wir ihn von beiden Seiten stützen und zum Tisch begleiten konnten.
„Es ist nichts, mein Kind. Ich bin nur etwas schwindelig. Vielleicht sollte ich etwas trinken.“
Cornelia holte einen Becher Buttermilch aus der Küche. Als der Meister danach greifen wollte, fiel der Becher um, die Milch lief über den Tisch und tropfte auf die Holzdielen.
„Meine Hand”, sagte der Meister gequält“, „ich kann meine Hand nicht mehr richtig bewegen. Sie fühlt sich taub an, ich glaube, der ganze Arm ist taub.“
Cornelia setzte sich neben ihren Vater und rieb seine Finger. Sie sah ihn mit großen, erwartungsvollen Augen an.
„Wird es schon besser?“
Der Meister schüttelte traurig den Kopf.
„Holt Rebekka, vielleicht weiß sie, was man gegen steife Gelenke tun kann.“
Ich lief zu der Kammer unter der Treppe und rief nach der Magd. Eilig kam sie in die Stube gehumpelt und sah gleich die Pfütze auf dem Boden.
„Herrje, die gute Milch, und dann auch noch ein ganzer Humpen.“
Sie holte einen Scheuerlappen aus der Küche und trocknete schwer keuchend Tisch und Boden ab.
„Aber Rebekka, das ist doch jetzt nicht wichtig. Vater kann seine Hand nicht mehr richtig bewegen und den Arm auch nicht. Kennst du ein Mittel, das ihm helfen könnte?“ fragte Cornelia, während sie die Hand des Meisters rieb und in den Stofffalten ihrer Schürze wärmte.
Rebekka erhob sich umständlich vom Boden und stützte sich ächzend auf den Tisch. Sie griff nach der Hand des Meisters, die steif und blass war.
„Ganz kalt“, stellte sie fest. „Ich sag’s ja immer, Mijnheer, Ihr solltet nicht so viel Pfeife rauchen. Dieses Teufelskraut schadet Eurer Gesundheit. Es zieht die Wärme aus dem Körper.“
Der Meister schüttelte den Kopf. Trotz seines Unwohlseins verzog er das Gesicht zu einem gequälten Lächeln. „Ist ja gut, Rebekka. Ich weiß, der Geruch stört dich, auch wenn ich nur in meiner Werkstatt rauche. Aber selbst der Doktor hat mir letztens gesagt, dass eine Pfeife pro Tag gut für die Verdauung ist.“
„Unsinn. Das sagt der Doktor nur, weil er selbst raucht. Das weiß ich von seinem Gehilfen. Den habe ich nämlich vor ein paar Tagen auf dem Markt getroffen, da hat er es mir erzählt. Und deswegen kann der Doktor auch seinen Patienten das Pfeifenrauchen nicht verbieten. Ich mache Euch gleich einen Kräuteraufguss, den müsst Ihr so heiß wie möglich trinken. Eine Salbe habe ich auch noch. Mit der reiben die Kutscher bei uns im Dorf ihren Pferden die Beine ein, wenn sie lahmen.“
Rebekka grummelte noch etwas vor sich hin und verschwand in der Küche. Cornelia streichelte die Hand ihres Vaters und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
„Du wirst sehen, es geht dir sicher schon bald wieder besser.“
Zwei Tage später machten Rebekka und ich uns auf den Weg zum Arzt. Der Meister hatte das Bett seit seinem Schwächeanfall nicht mehr verlassen. Er aß und trank kaum noch etwas und saß nur teilnahmslos da.
Ein eisiger Wind wehte durch die Straßen, der Winterhimmel war grau und trüb. Die Gracht vor dem Haus war schon seit Tagen zugefroren. Jeden Morgen kam der Brandmeister und prüfte, ob die
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