Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
Kopf.
„Nein, Samuel, du verstehst mich nicht. Ich werde niemals mehr einen Pinsel anrühren.“
„So etwas dürft ihr nicht sagen, Meister Rembrandt. Ihr seid der größte Maler, den Amsterdam je gesehen hat. Euer Ruhm wird durch dieses Bild noch größer werden.“
Der Meister seufzte tief und gequält. „Es wird meinen Ruf zerstören. Für dieses Bild ist ein Mensch gehängt worden. Ich fühle mich schuldig an seinem Tod. Mein Name ist beschmutzt.“
Nur zu gut konnte ich den Schmerz des Meisters verstehen. Ich wusste um seine Unbestechlichkeit und ahnte, wie sehr ihn die Enthüllung des Professors getroffen haben musste. Doch inzwischen ging es um weitaus mehr. Es ging um ein Meisterwerk, wie es nie zuvor geschaffen worden war und wie es vielleicht kein weiteres geben würde. Wie sollte ich den Meister davon nur überzeugen?
„Nein, so dürft Ihr nicht sprechen. Ihr habt von den Absichten des Medicus nichts ahnen können. Somit trifft Euch auch keine Schuld. Eure Darstellung ist bewundernswert. Ihr habt dem Toten seine Würde zurückgegeben.“
Der Meister atmete schwer, sein Brustkorb hob und senkte sich in großen Abständen.
„Der Tote auf dem Bild bleibt namenlos. Aber der Name des Professors ist auf dem Buchtitel verewigt. Von ihm wird man auch in hundert Jahren noch sprechen. Ich habe nicht früh genug erkannt, was für einen schändlichen Charakter der Medicus hat und ihn durch meine Malerei sogar noch verherrlicht. Das ist es, was der Nachwelt in Erinnerung bleiben wird. Rembrandt van Rijn, der Sohn eines ehrenhaften Müllers aus Leiden als Porträtist eines … eines Mörders. Auch wenn der Medicus nicht selbst Hand angelegt hat, so hat er doch einen Menschen getötet.“ Der Meister schlug die Hände vors Gesicht, sein ganzer Körper bebte. „Ich habe viele Dinge in meinem Leben falsch gemacht, und man wird mir manches vorwerfen können. Meine Sammelleidenschaft, meine Selbstsucht, dass ich nie zu Kompromissen bereit gewesen bin … Ich war sicher kein umgänglicher Mensch. Aber ich habe die Malerei geliebt und ihr alles geopfert. Ich will, dass die Nachwelt mich nicht nur als einen ordentlichen Handwerker in Erinnerung behält, sondern auch als einen ehrbaren und aufrechten Menschen.“
Der Meister wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn und rang rasselnd nach Luft. Schnell lief ich in meine Schlafkammer. Dort stand immer ein Krug mit frischem Bier für die Nacht bereit. Ich brachte dem Meister einen Becher und er trank gierig. Einige Tropfen rannen über sein Kinn und fielen auf den Malerkittel.
„Es war allein meine Schuld. Ich hätte dieses Bild niemals malen dürfen. Vielleicht würde dieser unglückselige Mensch heute noch leben.“
Es kostete den Meister viel Kraft, diese Worte hervorzupressen. Ich verspürte einen stechenden Schmerz in der Herzgegend, als ich den Meister so bitter reden hörte. Doch was geschehen war, konnte nicht ungeschehen gemacht werden. Wenn schon nicht der Gehängte gerettet werden konnte, dann sollte zumindest das Werk des Meisters gerettet werden. Mir blieb noch ein letzter Versuch. Ich besann mich auf eine andere Situation, in der ich einmal erfolgreich gewesen war.
„Meister Rembrandt, ich habe gesehen, wie viel Anstrengung und Fleiß Euch dieses Bild gekostet hat. Erinnert Euch an die Worte des Professors. Er versprach, er wolle das Honorar verdoppeln, wenn das Bild rechtzeitig fertig wird. Geld, mit dem Ihr die schönsten und seltensten Stücke für Eure Kunstsammlung kaufen könnt. Rebekka wird jeden Tag Fleisch kochen, Cornelia neue Kleider tragen und goldene Ketten und Ringe … ich flehe Euch an, Meister Rembrandt, Ihr müsst das Bild zu Ende malen.“
Der Meister stützte sich an der Lehne ab und erhob sich schwerfällig aus seinem Stuhl. Er schwankte, und ich reichte ihm meinen Arm. In seinen Augen lag bittere Entschlossenheit.
„Ich will das Geld nicht. An diesem Geld klebt Blut. Blut, das für einen gewissenlosen, selbstherrlichen Forscher vergossen wurde.“
Der Meister starrte mit entrücktem Blick auf die Leinwand. Er flüsterte etwas. Ich beugte mich zu ihm, um ihn besser zu verstehen.
„Ich wünschte, das Bild könnte zu Staub zerfallen. Dann gäbe es keine Spuren mehr. Alle Gedanken und Erinnerungen wären für immer erloschen“.
Plötzlich knickten seine Beine weg, er sank auf den Stuhl zurück, griff sich röchelnd an die Brust und verdrehte die Augen.
Panisch stürzte ich die Treppe hinunter ins Erdgeschoss
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