Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
anvertrauen sollen.
„Ich muss Euch etwas sagen, Meister Rembrandt. Erinnert Ihr Euch, wie der Professor vorhin erzählte, dass seinem Schwager der Geldbeutel gestohlen wurde?“
Der Meister nickte stumm.
„Das Geld wurde nicht gestohlen. Der Polizeihauptmann hat es auf der Straße verloren. Zufällig ging ich in diesem Moment hinter ihm und wäre beinahe über den Beutel gestolpert. Ich habe ihn aufgehoben. Weil er aus so feinem Leder war, habe ich ihn mir einen Augenblick angeschaut. Plötzlich hat der Mann sich umgedreht und mich einen Dieb genannt. Mir fiel nichts anderes ein, als schnell wegzulaufen. Erst als ich wieder in meiner Kammer war, habe ich gemerkt, dass ich den Geldbeutel noch immer festhielt.“
Der Meister schlug sich an die Brust, stöhnte auf und schüttelte fassungslos den Kopf.
„Du auch, Samuel? Niemals hätte ich so etwas von dir gedacht. Ich habe dich immer für einen ehrlichen Jungen gehalten.“
„Aber es stimmt, was ich sage, Meister Rembrandt. Der Polizeihauptmann hat erst nicht bemerkt, dass ihm das Geld aus dem Umhang gefallen war, und dann …“
„Spar dir deine Worte. Ich habe heute schon genug Heuchelei erlebt. Mir ist übel.“
Was war nur in den Meister gefahren? Wieso glaubte er mir nicht? Fieberhaft überlegte ich, wie ich ihn von meiner Unschuld überzeugen könnte.
„Warum, glaubt Ihr, sollte ich einem vornehmen Bürger, den ich nicht einmal kenne, Geld stehlen? Ich habe doch überhaupt keinen Grund dazu.“
„Oh, doch, und ich kann dir sogar mehrere Gründe nennen, Samuel. Du bist arm, du bist ehrgeizig, du willst einmal reich und berühmt werden, und du lässt dich von Äußerlichkeiten blenden. Du hast nur auf eine günstige Gelegenheit gewartet, um den Nächstbesten zu bestehlen. Wie dumm nur, dass du dich ausgerechnet für den Polizeihauptmann entschieden hast.“
Ich stand wie versteinert. So also dachte der Meister über mich! Mein Lehrer, den ich über alles verehrte! Womit hatte ich nur diese aussichtslose Situation heraufbeschworen? In meinen Schläfen pochte das Blut. Jetzt hatte nicht nur zwei der mächtigsten Männer von Amsterdam gegen mich, sondern auch noch meinen Meister, der mir nicht glaubte. Und das war bei weitem das Schlimmste. Ich schlug die Hände vor das Gesicht und rang nach Luft.
„Gib dir keine Mühe, Samuel. Vor mir brauchst du dich nicht mehr zu verstellen. Hast du nicht erst vor ein paar Tagen davon gesprochen, dass du zweihundert Gulden besitzt? Eine ziemlich hohe Summe für einen Malerschüler, der aus einfachen Verhältnissen stammt, findest du nicht? Wahrscheinlich Diebesbeute.“
„Nein, Meister Rembrandt, sagt so etwas bitte nicht. Das Geld habe ich selbst verdient. Pieter Leyster hat es mir für das kleine Gemälde von Cornelia gezahlt.“
„Zweihundert Gulden? Niemals. Leyster mag zwar ein Verrückter sein, aber er ist kein Narr.“
Nie zuvor hatte ich mich verlorener gefühlt. Mir war sterbenselend zumute. Ich sank auf die Knie und hielt die Stuhllehne fest umklammert.
„Bitte, Ihr müsst mir glauben. Ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, beim Leben meines Vaters und meiner Mutter, meiner Geschwister …“
Der Meister beugte sich vor und sah mir in die Augen, zuerst bohrend, dann zweifelnd.
„Dann ist tatsächlich alles so, wie du sagst?“
„Ja, Meister Rembrandt, es ist die Wahrheit. Auch wenn es keinen Beweis für meine Worte gibt.“
„Steh auf, Samuel, ich kann das nicht länger mit ansehen. Du erinnerst mich an Judas. An Judas im Tempel, den ich vor vielen Jahren einmal gemalt habe.“ 16
Das Bild des Meisters erschien vor meinen Augen. Judas, wie er dem Hohenpriester die Silberlinge zurückbringt. Mit zerrissenen Kleidern und wirrem Blick kniet er nieder. Er ringt die Hände, wie um Vergebung zu erflehen, von der er weiß, dass er sie niemals erlangen wird. Ich wollte aufstehen, doch meine Knie versagten. Alle Kraft schien aus meinem Körper gewichen zu sein. Behutsam legte der Meister seine Hand auf meinen Arm.
„Aber du bist kein Judas. Wenn du es schwörst, dann muss ich dir also glauben. Bitte verzeih mir, Samuel. Was bin ich nur für ein alter, misstrauischer Mann geworden. Aber schau dir die Menschen an. Wie soll ich da nicht befürchten, dass du auch nicht anders bist als sie?“
Ganz in sich gekehrt, saß der Meister in seinem Stuhl. Draußen brach die Dämmerung an, durch das Loch im Fenster wehte ein kühler Wind. In der Ferne hörte ich die Turmuhr der Westerkerk siebenmal
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