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Rembrandts Vermächtnis (German Edition)

Rembrandts Vermächtnis (German Edition)

Titel: Rembrandts Vermächtnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Guggenheim
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Bruder und heute auch noch ihren Vater, den sie so sehr geliebt hatte. Nur noch Magdalena und Titia waren übrig geblieben. Warum musste alles so gekommen?
    Bilder jagten durch meinen Kopf. Ich sah wieder den Mann mit dem Geldbeutel vor mir. Hörte die Rufe der Verfolger ganz dicht hinter mir. Vernahm voll Abscheu die Enthüllungen des Medicus. Spürte wie Nadelstiche das Misstrauen des Meisters. Sah die Hoffnungslosigkeit in seinen Augen und wie er mit zur Seite geneigtem Kopf dasaß…
    Unvermittelt brachen die Worte aus mir heraus. Ich erzählte Cornelia alles, was in den vergangenen beiden Tagen geschehen war und was wie ein Mühlstein auf meiner Seele lastete. Sie unterbrach mich kein einziges Mal, erschien abwechselnd ungläubig und erschrocken. Für einen Moment war sie ganz von ihrem eigenen Kummer abgelenkt und streichelte sachte meine Hand.
    „Das sind so furchtbare Dinge, dass man sie am liebsten gar nicht glauben möchte. Ich weiß, dass mein Vater seine Arbeit und sein Rufen über alles stellte. Wie oft war ich eifersüchtig auf seine Malerei, weil ich meinte, sie sei ihm wichtiger als ich. Es muss entsetzlich für ihn gewesen sein, als er erkannte, dass der Professor ihn nur für seine Zwecke benützt hatte. Vaters Herz war schon seit einer Weile angegriffen. Aber das war nun einfach zu viel für ihn.“
    Irgendetwas zog mich ins Atelier. Es war weder ein Geräusch, noch ein Lichtschein, nur ein unbestimmtes Gefühl. Ich stand auf, und Cornelia folgte mir. Das Bild auf der Staffelei leuchtete im Schein der Nachmittagssonne. Mein Blick schweifte über die Gruppe der Assistenten, glitt vom Kopf des Toten über das weiße Tuch bis zu seinen Füßen und verharrte auf der imposanten Figur des Medicus, der die rechte Bildhälfte vollkommen beherrschte.
    Ich hatte mich täuschen lassen. Hatte geglaubt, das Äußere sei Spiegelbild der Seele. Doch es war eine Maske, die die Abgründe im Inneren der Menschen verdeckte. Was war ich für ein törichter Narr gewesen.
    Ein Schleier hob sich vor meinen Augen. Auf einmal sah ich die eisige Kälte im starren Blick des Professors, der mir gestern noch kühn erschienen war. Den hochmütig verzogenen Mund, den ich für edel gehalten hatte. Die äffisch gespreizten Finger, die auf das Lehrbuch zeigten. Die ganze Selbstgerechtigkeit und Überheblichkeit des Medicus’ sprangen mir überdeutlich entgegen.
    Cornelia legte ihre warme, schmale Hand in meine.
    „Dieses Bild hätte seine Rettung sein sollen. Aber es wurde sein Untergang.“
    Plötzlich konnte ich seine Stimme wieder hören, sein heiseres Flüstern: „Ich wünschte, das Bild könnte zu Staub zerfallen. Dann gäbe es keine Spuren mehr. Alle Gedanken und Erinnerungen wären für immer erloschen.“
    „Was hast du gesagt?“
    Cornelias Frage riss mich aus meinem Zustand. Laut wiederholte ich die Worte des Meisters, die letzten, die er zu mir gesprochen hatte. In die Stille des Ateliers drang ein zischendes Geräusch. Funken sprühten auf im Kamin. Mein Blick blieb an dem Tisch mit den antiken Büsten hängen. Auf der Kante lag der Dolch mit dem Ledergriff und den Türkisen. Die blank polierte Klinge mit dem eingravierten Drachen glänzte im Schein des Feuers. Seine Spitze zeigte genau auf mich. Unsichtbare Fäden zogen mich an den Tisch heran. Meine Hand griff wie von selbst nach dem Dolch, ganz ohne mein Zutun. Ich drehte mich um und trat vor die Staffelei. Das verächtliche Lachen des Professors erklang in meinen Ohren. Dann stach ich zu. Stach ihm mitten ins Herz, in die Augen, in den Bauch.
    „Was tust du da, Samuel?“, schrie Cornelia und fiel mir in den Arm. Doch ich schüttelte sie ab, bearbeitete die Leinwand weiter mit dem Dolch, schlitzte die Figur des Medicus heraus, ebenso sein Buch.
    Nein. Dieser Adriaen van Campen hatte nicht das Recht, sein Bild jemals öffentlich auszustellen. Er war verantwortlich für den Tod eines Bettlers, und nun war er auch für den Tod des Meisters. Ich, Samuel Bol, der kleine Malerschüler, durch das der Professor stets hindurch geblickt hatte, ich würde verhindern, dass dieser gewissenlose Anatom auf Kosten zweier Menschen über Jahrhunderte zu Ruhm und Ehre gelangen würde, während der Meister eines Tages vielleicht in Vergessenheit geriete. Seine Ehre stand auf dem Spiel. Ich würde das Ansehen meines verstorbenen Meisters retten, damit ich auch in Zukunft ohne Scham in den Spiegel blicken konnte.
    Immer mehr Leinenstücke häuften sich auf dem Boden. Immer

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