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Rembrandts Vermächtnis (German Edition)

Rembrandts Vermächtnis (German Edition)

Titel: Rembrandts Vermächtnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Guggenheim
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gezackten Blütenblatt einer Harlekintulpe steckt oder in dem stacheligen Stiel einer Rosa Alba Semiplena. Nun setzte ich mich häufig zwischen die Felder und betrachtete die Wunder der Natur: eine einzelne Iris, einen knospenden Rosenbusch oder die keimende Zwiebel einer Hyazinthe.
    Ich betrachtete meine Hände. Die Finger waren rissig von den festen Zwirnfäden, die Kuppen von den Nähnadeln blutig zerstochen. Mit diesen Händen hatte ich das größte Werk meines Meisters zerstört. Und mit ihnen zugleich sein Ansehen bewahrt.
    Ich hatte wieder die Auseinandersetzungen im Ohr, die mein Lehrer mit Pieter Leyster geführt hatte. In meinem Kopf stritten sie über die Bedeutung von Porträt und Stillleben. Einst hatte ich nur die Meinung des Meisters geachtet und die Worte von Pieter Leyster gering geschätzt. Hierfür bitte ich ihn nachträglich um Verzeihung. Denn nunmehr musste ich mir eingestehen, dass auch die die Natur etwas Erhabenes war. Sie zu betrachten verschaffte mir Ruhe und Genugtuung.
    Leider hielten diese Gefühle nie lange an. Ich musste an Amsterdam denken und vermisste die Malerei so sehr, den Geruch von Leinöl und Bleiweiß, das Atelier an der Rozengracht, die täglichen Unterrichtsstunden. Aber am meisten fehlte mir - Cornelia, die ich in dem Augenblick verloren hatte, als die Ehre des Meisters gerettet war.
    Wenn ich am Abend keinen Schlaf finden konnte vor Sehnsucht, spürte ich einen Schmerz wie Messerstiche in meiner Brust. Dann sah ich sie wieder vor mir, wie sie mit geschmeidigen Bewegungen den Tisch deckte, sich nach Paulintje bückte und ihr seidiges Fell streichelte. Sah ihre fliegenden Röcke, wenn sie die Treppe zum Atelier hinauflief. Hörte ihr Lachen. Roch den Duft ihres Haars, ihrer Kleider. Fühlte die Nähe unserer letzten, gemeinsamen Stunden. Warum hatte das Schicksal uns getrennt? Ich betete und fand keine Antwort.

    Am Nachmittag, nach der Arbeit, saß ich gerne auf der kleinen Bank unter der Linde, gleich neben dem Tulpenfeld. Mein Vater hatte die Bank vor einigen Jahren selbst gezimmert. Hier konnte er sich zwischendurch, wenn er müde wurde, immer einmal ausruhen. Johannes, mein kleiner Bruder, kam mit rot glänzenden Wangen aus dem Dorf angelaufen. Seine kurzen Beine waren hinter den Tulpenstängeln kaum zu erkennen.
    „Samuel, ein Brief ist gekommen. Du bekommst doch sonst nie Post. Wer schreibt dir denn?“
    Mit fahrigen Händen brach ich das Siegel auf. Schon auf den ersten Blick hatte ich erkannt, dass mein Name dem Schriftzug auf dem Taschentuch glich, das Cornelia mir einmal geschenkt hatte. Das Blut pochte in meinen Schläfen, meine Augen saugten sich an dem Papier fest, verschlangen die Worte.

    „Lieber Samuel. Schon lange habe ich dir schreiben wollen. Seit dem Tag, an dem du aus Amsterdam fort gegangen bist, ist so vieles geschehen. Mein Herz ist schwer. Aber du sollst wissen, wie alles gekommen ist, damit du verstehst. Das schulde ich uns beiden.
    Am 5. Oktober, einen Tag nach Vaters Tod, tauchte ein Händler bei uns an der Rozengracht auf. Sein Name war van Brederode, und er kam, um einen alten Helm abzuholen. Er sagte, es sei bereits alles mit meinem Vater vereinbart. Der Preis, den er mir nannte, war lächerlich. Sicher nur ein geringer Teil dessen, was Vater einmal gezahlt hatte. Mir war der Mann nicht sonderlich sympathisch, doch ich dachte an die Kosten für die Beerdigung. Und dass ich nicht wusste, wovon ich das Grab bezahlen sollte. Also gab ich ihm den Helm.
    Drei Tage später, am 8. Oktober, haben wir meinen Vater in der Westerkerk beerdigt. Rebekka, Christiaen Dusart, Pieter Leyster, einige Nachbarn und ich. Magdalena konnte nicht kommen, sie fühlte sich zu schwach.
    Es war eine kleine und bescheidene Beerdigung. Als der helle Holzsarg in die Gruft hinabgesenkt wurde, schickte ich eine Fürbitte zu unserem Herrn. Ich flehte ihn an, er möge meinem Vater einen Platz zwischen meiner Mutter und Titus geben und ihnen allen ewigen Frieden schenken.
    Pieter Leyster gab den Sargträgern Geld für einen Humpen Bier. Ich glaube, er hat Vater sehr gemocht. Christiaen Dusart, mein Vormund, kümmerte sich später um den Verkauf der Bilder und der Kunstsammlung. Er verwaltet seither mein Erbe, aber ich glaube nicht, dass es viel wert ist. Er und seine Frau haben mich in ihrem Haus aufgenommen, wofür ich ihnen nicht genug danken kann.
    Rebekka war nun ohne Bleibe. Sie ist zu ihrer Schwester nach Enkhuizen gezogen. Der Abschied fiel uns beiden schwer. Ich war

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