Rendezvous in Kentucky
abgeschlachtet haben. Die Kinder können doch nicht bei solchen Unmenschen aufwachsen!«
Er ging einen Schritt auf sie zu. »Jetzt hör mir mal gut zu, Mädchen! Diese Kinder werden ein schönes Zuhause bekommen — denn es ist ganz und gar nicht schlecht, bei Indianern aufzuwachsen! Und was dich betrifft — wir hatten vereinbart, daß du mir Lesen beibringst. Ich habe mein Leben für eine Fremde riskiert. Aber ich werde es, verdammt noch mal, nicht für einen Haufen fremder Kinder aufs Spiel setzen!« Er drehte sich um und wollte gehen.
»Du brauchst mir nur ein Gewehr und ein Pferd zu leihen, dann erledige ich das allein. Ich bin nämlich ein sehr guter Schütze. Ich habe viel in Schottland gejagt und...«
Er sah sie an, als ob sie den Verstand verloren hätte, und verließ die Hütte.
Linnet stand für einen Augenblick ratlos da und war nicht sicher, was sie jetzt tun sollte. Dann griff sie seufzend nach einem Scheuerlappen und fing an sauberzumachen. Sie hatte damit gerechnet, ihn überzeugen zu können, wenn sie ihm erklärte, daß sie mit einem Gewehr umgehen konnte. Doch vielleicht mußte er sich die ganze Sache nur noch einmal überlegen. Eigentlich glaubte sie nicht daran, daß die Indianer den Kindern etwas antun würden. Sie wußte nur eins ganz genau — die Kinder mußten befreit werden.
»Wie schön, daß Ihnen das Kleid paßt«, rief eine Stimme hinter ihr. Sie gehörte einem etwa vierzehnjährigen Mädchen, das genauso groß wie Linnet war. Ihr sommersprossiges Gesicht sah freundlich aus.
Linnet lächelte ihr zu: »Ich bin sehr dankbar, daß du es mir geliehen hast. Aber ich befürchte, daß es schmutzig wird. Ich bin Linnet Tyler.« Sie streckte dem Mädchen die Hand entgegen. Zuerst wußte das Kind offensichtlich nicht, wie es reagieren sollte, doch dann ergriff es die dargebotene Hand und schüttelte sie lächelnd.
»Ich heiße Caroline Tucker.«
»Tucker? Ich glaube, ich habe heute morgen deinen Bruder kennengelernt.«
»O ja, das war Jessie. Er hat von Ihnen gesprochen. Kann ich Ihnen helfen?«
»Das ist nicht nötig. Ich will hier nur ein wenig Ordnung schaffen, ich werde in dieser Hütte wohnen«, erklärte sie stolz.
Carolines Blick wanderte skeptisch durch die baufällige Hütte. Sie zweifelte daran, daß jemand imstande war, in diesem Schutthaufen zu leben. »Ich habe gerade nichts anderes zu tun«, sagte sie, während sie das Ende einer Bank ergriff, die Linnet hinaustragen wollte.
Die nächsten, die vor der Tür erschienen, waren die achtjährigen Zwillinge Eubrown und Lissie. Sie platzten fast vor Neugier und wollten unbedingt Macs Mädchen kennenIernen — nun ja, Mrs. Emerson hatte sie Macs Mädchen genannt. Corinne hatte schon die ganze Zeit Verwünschungen gegen sie ausgestoßen!
Es verbreitete sich wie ein Lauffeuer in Sweetbriar, daß Linnet sehr hübsch war. Bald fand sich die Mehrzahl der jungen Männer vor ihrer Hütte ein und boten eifrig ihre Hilfe bei der Renovierung des Häuschens an. Linnet verließ sie, um einen Eimer Wasser am etwa hundert Meter entfernten Bach zu holen. Sie kniete am Wasser, als sie auf einmal zwei Füße vor sich stehen sah. Sie hatte niemanden kommen hören. Vor ihrem inneren Auge erschien wieder das Schreckensbild ihrer ermordeten Mutter und der Indianer. Ihr Herz raste. Sie schaute auf, doch sie konnte das Gesicht des Mannes nicht genau erkennen, weil die Sonne sie blendete.
Sie stand auf. »Hallo, ich bin Linnet Tyler.« Sie streckte die Hand aus. Der Mann starrte sie sprachlos an. Er war eigentlich kaum mehr als ein Junge, dick und kräftig, mit krausen, braunen Haaren und einem großen Mund. Ein recht nett aussehender junger Mann.
»Sie sind das Mädchen, das Mac mitgebracht hat, nicht?« stellte er einfach fest.
»Ja, das bin ich, und wie heißen Sie?« Ihre Hand war immer noch ausgestreckt.
»Worth, Ma’am. Worth Jamieson. Ich wohne etwa fünf Meilen entfernt auf einer Farm. Ich bin zum Einkaufen hergekommen.«
Sie griff einfach nach seiner rechten Hand und schüttelte sie kräftig. »Sehr erfreut, Sie kennenzulernen, Mr. Jamieson.«
»Nennen Sie mich Worth, Ma’am.«
Linnet seufzte. Offenbar wollten diese Amerikaner immer gleich beim Vornamen genannt werden!
»Sie bewohnen die Hütte vom alten Luke?«
»Ja, das tue ich.«
»Lassen Sie mich das tragen. Sie sind zu zart, um solch schwere Sachen zu schleppen.« Er nahm ihr den vollen Wassereimer ab.
Sie lächelte ihn an. »Danke. Ich weiß zwar nicht, warum mich jedermann
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