Rendezvous mit Mr Darcy
würde das Vorhandensein eines passenden Herrn voraussetzen. Sie verbot sich, diese Gedanken weiterzuspinnen, der zu schicklichen wie unschicklichen Anträgen führen würde, denn nach den Maßstäben von 1812 stand eine Frau ihres Alters bereits mit einem Bein im Grab. Ihre Rolle in dieser Sendung würde zweifelsohne die einer trauernden Witwe sein, obwohl man sie offensichtlich in kein schwarzes Kleid stecken wollte. Auch von einem Trauerschleier war weit und breit nichts zu sehen. Genauso wenig von einer Chemisette oder einem Fichu, um ihr Dekolleté zu bedecken.
Ungeachtet dessen würde ein Mr Darcy am Set achtundzwanzig Jahre alt sein, wie in Stolz und Vorurteil , oder dreiunddreißig wie ein Mr Bingley, und beide Gentlemen würden ihre Tanzkarten mit den einundzwanzigjährigen Miss Bennets füllen. Männer standen einfach nicht auf Chloes Tagesordnung. Sie wollte nichts weiter, als sich über diese einmalige Chance in ihrem Leben freuen, Fragen zu den Romanen beantworten und so das Preisgeld gewinnen, um dann wieder nach Hause zu Abigail zu fahren.
Das Klingeln ihres neuen Handys unterbrach ihren Tagtraum, und sie machte erschrocken einen Satz, als der Ton von Waldhörnern bis zur Balkendecke schallte. Abigail hatte ihr einen Klingelton des Regency heruntergeladen. Chloe schreckte hoch, da sie ihre Tochter angehalten hatte, nur im Notfall anzurufen, und stieß dabei fast den Krug und die Schüssel auf dem Waschtisch um.
Sie wühlte fieberhaft in ihrer Handtasche, einer auf alt gemachten Arzttasche, nach dem Telefon. »Handys! Vor zweihundert Jahren schrieb man noch Briefe mit Schreibfedern und versiegelte sie mit Wachs, Fiona. Das Leben war einfach viel – romantischer.« Sie nahm das Gespräch an, ohne nachzusehen, wer anrief. »Hallo?«
Am anderen Ende des Zimmers klopfte es an der Tür, die im nächsten Moment aufgerissen wurde, und drei Männer mit Scheinwerfern auf Stativen stürmten herein. Chloes Bluse war mittlerweile ganz aufgeknöpft, und ihr Rock lag in einem Haufen zu ihren Füßen auf dem Boden. Sie machte einen Satz hinter den Paravent, zog ihre Bluse über dem Dekolleté zusammen und bückte sich schnell, um den Rock wieder hochzuschieben und so ihre grüne Baumwollunterhose zu verdecken, die so gar nichts mit erotischer Wäsche gemein hatte.
Als sie hinter dem Paravent wieder hervorlugte, kam ein Mann mit einer Videokamera hereinspaziert, gefolgt von einem weiteren Kameramann. Scheinwerfer? Kameras? Was sollte das?
»Mommy? Bist du das?«
Chloe hatte vergessen, dass sie das Telefon ans Ohr hielt.
»Äh, Abby? Liebling? Ist alles in Ordnung?« Ihre Brust hob und senkte sich vor Aufregung, während sie in die Scheinwerfer blinzelte.
»Ja, ich habe nur ein paar echt gute Neuigkeiten.«
Chloe atmete aus. »Oh, toll. Ich würde sie ja nur zu gerne erfahren, aber im Moment ist es gerade nicht so günstig, ja? Ich rufe dich gleich wieder an.« Sie griff nach dem weißen Kleid und hielt es vor sich, legte auf und warf das Telefon auf den Waschtisch. Dann wies sie mit der Hand in Richtung Videokamera. »Hören Sie auf zu filmen! Was zum …«
Ein weiterer Mann stürmte herein, ein Headset an einem Ohr, ein iPhone in der einen und ein iPad in der anderen Hand. Alle Geräte waren eingeschaltet, wie sie es von ihrem Exmann kannte. »Super Satz«, meinte er mit einer Aussprache, in der ein reizvoller englischer Akzent mitschwang. »Der mit den Briefen. Könnten Sie ihn bitte noch einmal sagen? Vor laufender Kamera?«
Das grelle Scheinwerferlicht und die schiere Panik, die Chloe in diesem Moment ergriff, ließ sie einen Schritt zurücktreten. Vielleicht lag es aber auch an der Art und Weise, wie dieser Mann sprach. An seinem kastanienbraunen Haar, in dem die Sonnenbrille steckte, oder seiner gut sitzenden Jeans konnte es nicht liegen. Immerhin war sie eine Frau mit einem irren Faible für alles, was Englisch klang, also eine, die bei jedem Kerl mit einem englischen Akzent in Verzückung geraten könnte, und dies waren die ersten Worte aus dem Mund eines Engländers, die sie seit ihrer Ankunft hörte. Zurückzuführen war ihre Begeisterung auf die Figur des Christopher Robin in Disneys »Winnie Puuh«, da war sie wie alt – sechs?
Der Akzent brachte sie aus der Fassung, aber nur für einen Moment. »Entschuldigen Sie?! Was soll das hier?« Sie hielt das weiße Kleid an sich gepresst. Es fühlte sich an wie feine indische Baumwolle oder Voile. Dann erkannte sie trotz ihrer Verwirrung und Wut,
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