Replay - Das zweite Spiel
Wiederholung eine ganz andere Version der menschlichen Geschichte ins Leben ruft? Diese Frage lässt sich nicht beantworten, weder im Roman noch in der Realität: Ungeachtet der Spekulationen der Quantenphysiker (und der Fantasy-Autoren) wissen wir nicht, ob alternative Wirklichkeiten tatsächlich möglich sind. Wenn nein, dann handelt es sich bei den Wiederholungen um reine Zeitschleifen; wenn ja, dann müssen Milliarden realer Menschen nur deshalb leiden und sterben, weil Jeff und Pamela eine unkluge Entscheidung getroffen haben…
Es ist eine Binsenweisheit, dass ein Autor mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit etwas falsch gemacht hat, wenn wir uns bei der Lektüre seines Werkes der technischen Aspekte des Schreibens bewusst sind. Ein bekannter Thriller-Autor hat einmal dazu gesagt: »Meine Aufgabe ist es, die Worte von der Buchseite verschwinden zu lassen.« Er meinte damit, ein Schriftsteller müsse die Barriere der Worte, der Druckerschwärze und des Papiers niederreißen, sodass sich der Leser nicht mehr bewusst ist, dass er liest. Dann ist der Leser mitten drin, er lebt in der Vorstellungswelt des Autors, beinahe so, als bestünde zwischen ihnen eine Art telepathischer Verständigung.
Damit eng verknüpft ist die so genannte ›Stimme‹ des Autors. Manche Autoren benutzen stets ihre eigene Stimme, als plauderten sie mit einem; ihre Worte werden ebenso leicht aufgenommen wie bei einer mündlichen Unterhaltung. Andere erschaffen verschiedene Stimmen, um den Anforderungen bestimmter Geschichten gerecht zu werden. Eine dritte Möglichkeit besteht darin, stilistische Tricks ganz zu vermeiden und die auktoriale Stimme aus dem Spiel zu lassen. Diese Strategie kann sich als riskant erweisen, denn wenn man nicht aufpasst, wird der Text flach und langweilig. Genau diese Taktik aber hat Ken Grimwood in ›Replay‹ angewandt - und zwar aus gutem Grund.
Bedenken Sie, welche Aufgabe er sich gestellt hat. Die meisten Romane behandeln eine relativ kurze Zeitspanne im Leben der Hauptperson - einige Tage, vielleicht ein paar Wochen oder Monate, hin und wieder auch Jahre oder Jahrzehnte. Die Ereignisse in ›Replay‹ hingegen umspannen mehr als ein Jahrhundert von Jeff Winstons Leben, eine Zeitspanne, die man im Allgemeinen eher mit breit angelegten Familiensagas in Verbindung bringt, Büchern, die viele hundert eng bedruckte Seiten umfassen. Grimwoods Roman hingegen ist nur vierhundert Seiten lang. Der Autor hatte also gar keinen Platz für irgendwelche stilistischen Schnörkel. Die vielen Ereignisse der Geschichte - von den anderen Dingen, die er mitteilen wollte, ganz zu schweigen - musste er in möglichst komprimierter Form erzählen, ohne jedoch in einen Telegrammstil zu verfallen. Beschreibungen mussten eingeschränkt, reflektierende Passagen auf ein Minimum reduziert werden. Für ausschmückende Szenen, mit denen einige Romanciers ihre Figuren charakterisieren, war kein Raum, und auch die notwendigen Erklärungen mussten sehr knapp gehalten werden.
Diese und andere Beschränkungen hätten bei den meisten Autoren dazu geführt, dass der Text unglaubwürdig und dröge ausgefallen wäre; tatsächlich hätten die meisten Autoren die Herausforderung gar nicht erst angenommen. Ken Grimwood aber stellte sich der Herausforderung - und er hat sie auf beeindruckende Weise gemeistert. Nur auf den ersten paar Seiten entsteht der Eindruck des erwähnten Telegrammstils, und selbst das wendet Grimwood noch zu seinem Vorteil: Der sprunghafte Einstieg bringt die Erwartungen des Lesers hinsichtlich der Art und Weise, wie ein Roman erzählt sein sollte, gehörig ins Wanken und verwirrt ihn so sehr, dass er sich fortan mit der schnellen, zuweilen hektischen Gangart der Erzählung abfindet. Man könnte diese Methode mit dem Stil mancher Action-Regisseure vergleichen (übrigens ist ›Replay‹ ein äußerst filmischer Roman): Vor den Vorspann setzen sie eine Sequenz wirrer, scheinbar zusammenhangsloser, sehr schnell geschnittener Bilder, die den Betrachter in die angemessene Stimmung versetzen sollen.
Ein schönes Beispiel für die Art und Weise, wie Grimwood mit diesem Stilmittel umgeht, ist der Beginn von Jeffs erster Wiederholung. Was er erlebt, ähnelt gewissen Träumen, in denen man unvermittelt an einen anderen Ort versetzt wird, sich in einer Umgebung wiederfindet, die keinen Zusammenhang mit der vorigen aufweist, die einem aber dennoch bekannt vorkommt. Im Traum findet man sich mit der eigenen Unwissenheit ab und
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