Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Titel: Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Reuther
Vom Netzwerk:
angekommen. Stell dir vor, oben war er mein Klassenlehrer. – Herr Konrad, das ist Hertha Gisberg aus Bonames.“
    „Ich kenne Sie doch! Waren Sie nicht früher Lehrer in Bonames?“
    Edmund schüttelte den Kopf.
    „Wo warst du gestern und heute?“, erkundigte sich Gerd. Es zuckte um ihren schmalen Mund, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. Aber sie sprach mit fester Stimme:
    „Krankenstation. Bauchkrämpfe. Mir hat wohl die bevorstehende Verlegung auf den Magen geschlagen.“
    „Du hast doch noch drei Wochen!“
    „Was sind schon drei Wochen?“
    „Hast recht. Oder sechs. Oder zehn.“
    „Das kannst du deiner Oma erzählen“, die Stimmen am Nachbartisch wurden laut. „Fakt ist, dass wir in den Vierzigerjahren in Norwegen einmarschiert sind!“
    „Bestreitet ja keiner, aber im Einvernehmen mit den Norwegern, weil die Engländer und Franzosen beschlossen hatten, ihr Land zu besetzen, um den Export nach Deutschland zu verhindern. Und die Norweger zogen es vor, uns im Land zu haben statt der Engländer oder Franzosen.“
    „Du bist ein Einfaltspinsel, Jochen.“
    „Danke. Und ich hatte gedacht, wenigstens mit dir könnte man reden.“
    Hertha schüttelte den Kopf. „Dieser Jochen ist nicht nur ein Einfaltspinsel – sie werden einfach nie alle, die Nazis.“
    „Wir müssen weiter, ich zeig Herrn Konrad Repuestos. Kommste mit?“
    „Nein, nein, ich muss zur Blutabnahme, zusammen mit Isolde, die wird gleich hier sein.“
    Sie tranken ihre Tassen leer und verließen Theos Café. Draußen tippte Gerd Edmund am Arm:
    „Sehen Sie die beiden da drüben in den blauen Overalls mit weißen Litzen?“
    „Ja. In der Eulengasse sind mir auch schon zwei so Blaue aufgefallen.“
    „Das sind Betriebsschützer. Sie sind bewaffnet und ergreifen auf ein Signal hin sofort jede ungehorsame Person und bringen sie in eine Schleuse hinter dem Forum. Und dort …“, Gerd biss sich auf die Lippen, „in allen Vierteln sind solche auf Streife unterwegs. Ungehorsamkeit sollten wir uns auf gar keinen Fall leisten.“
    „Gehören die dem Clan an?“
    „Das nicht, es sind ebenfalls Gefangene, aber privilegierte und der Repuestos -Obrigkeit gegenüber penetrant loyal.“
     
    Sie waren am Parcivalkreis angekommen. Aus jeder Himmelsrichtung führten Gassen und Pfade auf den Kreis zu. Sie wandelten auf dem mosaikgefliesten Ring, der um ein rundes Betonbauwerk von der Größe eines Atommeilers führte, den Parcivalturm. Um diesen Mosaikring verlief ein Rasenstreifen, den eine niedrige Mauer umschloss. Der „Turm“ ragte inmitten dieser konzentrischen Kreise wie eine zu Beton gewordene Drohung hervor.
    „Was da drinne is, ist graues Geheimnis. Niemand von uns konnte es bisher lüften“, sagte Gerd.
    An der Südseite führte eine breite Treppe ins Innere des Turms. Unbefugte durften sie nicht betreten. Zu beiden Seiten der Stufen hielt ein Betriebsschützer Wache.
    „Also, wie ich schon sagte, das tägliche Pflichtprogramm schließt mit der Fitnessstunde ab und die endet um eins. Ab dann können wir den ganzen Tag und die Nacht dazu bis morgens um sechs nach Gusto verbringe, soweit es keine Zwischeanweisunge gibt. Wir dürfen schlafen, wann und so viel wir wollen. Können mittags und abends essen gehen in einem der fünf Restaurants. Bistros, Eissalons, Tee- und Bücherstuben oder Cafés aufsuchen – oder uns irgendwo vergnügen. An Angeboten fehlt es nicht. Wer nix hörn und sehen will, kann sich auch in seine Kemenate zurückziehen.“
    Alle zwanzig Schritte sprühte aus dem Rasen eine Fontäne in die Höhe. Sie folgten dem Rund bis zur Falkengasse, durchwandelten sie bis zu ihrem Ende und standen vor den Tennisplätzen.
    Alle drei Felder waren belegt.
    „Die Leut uf de Zuschauertribühn sind nicht nur Zuschauer, viele warten auf einen freien Court.

    Es gibt zwei Bibliotheken, zwei Kinos, ein Theater, Gemeinschaftsräume mit und ohne Fernseher, Musikzimmer, Bastelzimmer, Maleratelier. Allerdings darf kein Instrument und auch kein Mal- oder Schreibmaterial mit in die Kemenate genommen werden, ebenso wenig Bücher. Wer lesen will, greift sich ein Buch und setzt sich in die Lesestube. Wenn er rausgeht, stellt er‘s wieder zurück. Dann haben wir noch einen Festsaal, ein Aquarium, ein Terrarium und vor allen Dingen: kilometerlange Gänge, die Pfade und Gasse nämlich. Es gibt auch Radfahrbahnen. Die sind ganz dahinten, am Lavendelpfad entlang, zwische de Kuckucks- und Fasanengass. Gleich hinter dem Eingang zu den

Weitere Kostenlose Bücher