Requiem für eine Sängerin
Die Leute, die an dem Fall arbeiteten, waren entzückt; sicher, dass der Täter ausgemacht war. Doch all die Begeisterung konnte Fenwick nicht anstecken, denn er hatte wieder im Krankenhaus angerufen und sich nach Leslie Smiths Zustand erkundigt.
Cooper brauchte zwei Stunden, um das Haus zu finden. Die Spurensicherung war fertig, und der Dienst habende Constable hinter dem Plastikband der Absperrung wollte gerade aufbrechen, als Cooper durch die schmutzige, verwitterte Vordertür eintrat. Er ging einen schmalen, staubigen Flur entlang. Links eine dünne, schmucklose Trennwand; rechts führten billige furnierte Türen mit Ornamentglas, die modernen Bauvorschriften in keiner Weise entsprachen, in ein Wohnzimmer, ein kleineres Zimmer mit Kachelofen und geradeaus, an der Treppe vorbei, in die Küche. Mumifizierte Fliegen und Wespen knirschten leise unter seinen Schuhen.
Das ganze Haus roch nach Traurigkeit. Er roch sie in klammer Feuchtigkeit und bröckelndem Verputz, sah sie hinter von jahrelanger Verwahrlosung gezeichneten Wänden. In der Küche standen noch ein paar Möbelstücke – ein alter Tisch und ein Stuhl, eine altersblinde, vom Scheuern zerkratzte Aluminiumspüle. Cooper vergaß die Tatsache, dass er Polizist war, ebenso wie den Grund für sein Hiersein. Er stand in der Küche und fragte sich, was aus dem Haus, das einmal ein Heim gewesen war, dieses Fertigteilmausoleum gemacht hatte.
Hier war Carol Truman aufgewachsen – nach allem, was man wusste, ein glückliches, begabtes Mädchen in einer gütigen, anständigen Familie, in der alle einander achteten und respektierten. Dann die Entscheidung auszuwandern. Wie einfach musste es Carols Eltern vorgekommen sein, früher abzureisen – «nur zwei Monate; du kommst nach, sobald du dein Examen bestanden hast» –, und wie einfach, Carols Tante, Onkel und Cousin das Haus billig zu vermieten.
Und dann war aus zwei Monaten ein ganzes Leben geworden. Als Familienvater konnte Cooper sich den Schmerz der Trumans über den Tod der Tochter nicht einmal ansatzweise vorstellen. Sie hatten keinen öffentlichen Kommentar abgegeben, keine Appelle, sie hatten stumm getrauert. Carols Mutter war binnen weniger Monate gestorben; ihre Tante zwei Jahre danach vom Krebs hinweggerafft worden. Die Frauen zweier Familien fort; zurück geblieben waren drei verbitterte Männer: ein Vater, der allein lebte und Jahre später allein in einem fremden Land starb; ein Onkel, der nach dem Tod seiner Frau Selbstmord beging; ein Cousin, der innerhalb von zwei Jahren dreimal verlassen worden und mit neunzehn Jahren bereits ganz auf sich gestellt war – und nun des mehrfachen Mordes verdächtig.
Ein Unfall, gerade mal eine Meldung in der Lokalzeitung wert; ein kleiner Kieselstein, der über die Jahre einen ganzen Erdrutsch an Todesfällen ausgelöst hatte. Cooper war kein phantasievoller oder sentimentaler Mensch, aber als er in dieser verfallenen Küche stand, drückte die Last des Leids ihn nieder.
Mitten hinein in seine deprimierten Überlegungen blitzten plötzlich Licht und Farbe. Die untergehende Sonne war unter die tief hängenden Wolken gesunken, erhellte den Raum und drängte die dunklen Schatten in die Ecken zurück. Eine Amsel, die auf dem Sims vor dem zerbrochenen Fenster saß, genoss die Wärme und fing an zu singen; es hörte sich an wie ein Requiem.
37
Rowland hatte vorübergehend Unterkunft in einem Mietshaus auf der falschen Seite von Chichester bezogen. Er bezahlte im Voraus bar und sah sauber und manierlich aus. Die Vermieterin nahm sein Geld gleichgültig entgegen und verschwendete keinen weiteren Gedanken an ihn. Sie hatte nichts dagegen, dass er seinen Ford Escort mit J-Kennzeichen im Hof hinter dem Haus parkte.
Im Gegensatz zu vielen anderen ihres Berufsstandes interessierte sie sich nicht für ihre Mieter und noch weniger für deren Habseligkeiten. Und selbst wenn sie ihre Nase in das Zimmer gesteckt hätte, hätte sie es ordentlich aufgeräumt, ansonsten aber uninteressant vorgefunden. Er hatte eine Vorliebe für schwarze Kleidung und arbeitete für eine Reinigungsfirma – so stand es jedenfalls auf dem Overall und der Kennkarte, die er bei sich trug. Die Tasche für seine Putzmittel war vielleicht ein wenig eigentümlich. Sie war lang und teuer, mit Laschen und Innentaschen, in denen sich zahlreiche sonderbare Gegenstände befanden. Aber sie schnüffelte nicht herum, daher waren alle Bemühungen ihres Mieters, nicht aufzufallen, vollkommen unnötig.
Als
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