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Flugangst!«
»Ich habe keine Flugangst!«
Bei meinem letzten Flug war ich neun und habe in eine Tüte gereihert. Ein paar lustige Luftlöcher und Kotztüten später, musste mich mein Vater wie ein festklebendes Panini-Bild von der Ausstiegstür abkratzen, weil ich diese in rund zehn Kilometern Höhe nur allzu gerne geöffnet hätte.
Ich fahre seitdem nicht mal Kettenkarussell.
»Na gut, dann hast du eben keine Flugangst«, sagte Steffi schmunzelnd. »Trotzdem fliege ich mit den Mädels nach Mallorca.«
»Ja, aber wir können doch auch nach Brandenburg raus. Nach Bad Saarow oder so.«
»Nach Bad Saarow?! Wie öde ist DAS denn?!«
Ich musste einmal kräftig schlucken und schaute dann auf den Boden. Steffi kam zu mir herüber und streichelte über meinen Nacken.
»Keine Angst, Schatz! Da passiert nichts.«
Da passiert nichts! So ein Satz verursacht in der Regel immer ein einigermaßen ungutes Gefühl bei mir. Wie wenn der Zahnarzt sagt: Es wird nur ein ganz klein bisschen weh tun.
»Und …«, sagte ich, »wie lange kann sich eure studentische Party-Crew einen so gewagten Trip leisten? ’ ne Woche?«
»Drei.«
»Drei Wochen???!!!«
Da passiert nichts! Natürlich nicht.
»Wer kommt denn mit?«
»Andrea, Melanie, Katja und Nadine.«
»Das sind DREI Single-Frauen!«
»Vier. Melanie hat letzte Woche mit Jan Schluss gemacht.«
Passiertnichtspassiertnichtspassiertnichts!
Fünf junge, hübsche, Mai-Thai-betankte, blonde Studentinnen am Ballermann: der Stoff, aus dem Filme für Erwachsene gemacht sind. NATÜRLICH ist da was passiert! NATÜRLICH hat sie da diesen beschissenen Typen kennengelernt! Und NATÜRLICH hat sie sich auf Malle von ihm nageln lassen!
Und jetzt bin ich Single, und Steffi hat ihr Facebook-Profil für mich gesperrt, und die Chancen, dass wir wieder zusammenkommen, stehen in etwa so hoch wie die eines Alzheimer-Patienten bei der Memory- WM . Wann zur Hölle wird endlich der »Gefällt mir NICHT «-Button eingeführt?
Steffi Gehrasch wird heute mal wieder richtig feiern!
vor ziemlich genau einer Woche, wenn ich mich da jetzt richtig erinnere
Sie ist erst seit einem knappen Jahr bei Facebook. Was für ein Spätzünder. Früher fand sie das alles nämlich immer »irgendwie total peinlich«. So wie sie mich ja auch mal »irgendwie total toll« fand und mich »irgendwie total geliebt« hat und mit mir »irgendwie total viele Kinder« haben wollte. Bis vor drei Monaten stand auf unseren Profilen auch noch, dass wir »in einer Beziehung« mit dem jeweils anderen wären. Times are changing.
Nach unserem Aus habe ich sie noch ein paar Mal angerufen. So etwa vierzehntausend Mal. Nur in den seltensten Fällen ist sie überhaupt rangegangen, und wenn, dann waren die Gespräche meist sehr kurz und unergiebig, und gerne schmetterte ich ihr am Schluss noch eine Salve frauenverachtender Bushido-Textzeilen entgegen, die frei je des integrationsfördernden Verdachtes waren, aber da hatte sie meist schon aufgelegt.
Dann habe ich es mit SMS versucht. Auf die hat sie nicht geantwortet. Da ich ja auch »irgendwie total meinen Stolz« hatte, habe ich dann irgendwann keine SMS mehr geschrieben. Stattdessen einen achtzehnseitigen Brief. Auf den es natürlich auch keine Antwort gab. Genauso wenig wie auf meine Nachrichten, die ich ihr über Facebook geschrieben habe. Und chatten wollte sie auch nicht mehr.
Ich bin in dieser Zeit so ziemlich jede halbe Stunde auf ihrem Profil gewesen und habe geguckt, mit wem sie sich neu befreundet hat. Da ich den Namen ihres Typen nicht kannte, konnte das so gut wie jeder sein.
Seinen Namen weiß ich bis heute nicht. Aber ich habe zufällig rausbekommen, wie er aussieht. Mit »zufällig« meine ich, dass ich einen ganzen Tag lang in der Nähe von Steffis Wohnung auf sie gewartet habe, in der Hoffnung, endlich mit ihr zu sprechen. Und mit dem Hintergedanken, ihren Typen zu sehen, obwohl das natürlich bedeutete, in das Gesicht der Erniedrigung blicken zu müssen. Keine Ahnung, warum wir Männer uns das manchmal geben müssen.
Jedenfalls lief alles zunächst perfekt. Ich hatte extra eine Pudelmütze, eine Sonnenbrille und meine alte Bomberjacke als Tarnung angelegt. Als ich sie aus der Wohnung kommen sah, wusste ich sofort, dass mein diabolischer Stalking-Plan aufgehen würde. Als sie dann aber in ihr Auto stieg und losfuhr, offenbarte der Plan eine kleine und nicht unbedeutende Schwäche: Ich war mit dem Bus gekommen.
Anders ausgedrückt: Ich habe gar kein Auto. Und auch
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