Resteklicken
mehr so, wie man gerne von einem alten Bekannten hört, der nach Australien ausgewandert ist und ab und zu mal eine Postkarte schickt oder einen Telefonanruf tätigt und dann wieder Ruhe gibt, die nächsten paar Monate wenigstens.
Ich weiß gar nicht mehr genau, ob ich Steffi wirklich noch liebe. Ich weiß nur, dass mir alles weh tut, sogar mein Herz, und das nicht im übertragenen Sinne, es tut weh, richtig weh, und ich versuche zumindest alles, damit sie mich nicht vergisst, poste Statusmeldungen auf Facebook, um immer wieder präsent zu sein, und sammle weiter meine Freunde, die mir das Gefühl geben, ich nähme an etwas Großem, etwas Sozialem, etwas ECHTEM teil, woran genau, das vermag ich langsam leider nicht mehr zu sagen.
Anyway , ich stehe jetzt nur noch drei lausige Bestätigungen von der magischen Dreihunderter-Freundes-Liste entfernt, und mein Puls schnellt allein bei dem Gedanken an die Überschreitung dieser Grenze in ungekannte Höhen, ich bin zittrig und nervös wie ein greiser Philatelist, der mit etwas Glück noch die nächste Sonderausgabe einer südamerikanischen Briefmarke mit einer alten Dampflokomotive drauf erleben darf. DREI Facebook-Freunde, dann bin ich endlich über den Berg. Oder wo auch immer es mich hin verschlägt.
Moritz Meschner Merry X-Mas! (Außer an die, die es nicht verdient haben. You know who you are!)
24. Dezember
Weihnachten verlief soweit nach Plan.
Ich habe im Bett gelegen und Metaxa getrunken, und meinen Eltern habe ich wegen einer vorgeschobenen Krankheit abgesagt, bloß um nicht in die kerzenhellen, dümmlichen Fressen der buckligen Verwandtschaft gucken zu müssen, in die der Heilige Abend für gewöhnlich eine verklärte Glückseligkeit kärchert.
Zwischendurch habe ich an Steffi gedacht, und daran, dass ich der ungeliebteste Punkt im ganzen Universum bin, die gesammelte Projektion aller Ablehnung, der FC Bayern der Sitzenbleiber-Bundesliga quasi, um es mal von der Poesie auf die Alltagsprosa runterzubrechen, ein armes Würstchen ohne Aussicht auf die warme und wohlige Umarmung eines Hot-Dog-Brötchens. Aber egal, wie alles ausgeht, egal, ob nicht schon alles in letzter Konsequenz ausgegangen IST , NOCH bin ich da, NOCH lebe ich so vor mich hin, … auch wenn das meist bedeutet, dass ich deprimiert vor dem Rechner sitze oder durch zugezogene Vorhänge nach dem Tageslicht, dem Draußen spähe.
Ich werde nicht aufgeben, werde hier sein, werde warten auf dich.
Auf DICH , Steffi!
Erst mal werde ich aber nach Bad Saarow fahren.
Als mir meine Jungs das Geschenk gemacht haben, mit ihnen gemeinsam ein Wellness-Wochenende im Hotel Esplanade Resort und Spa am Scharmützelsee zu verbringen, da wusste ich zunächst nicht, ob ich lachen oder die drei Schadenfreudler als Biomüll deklarieren und ordnungsgemäß auf einem Kinderspielplatz entsorgen sollte. Relativ schnell wurde mir aber klar, dass sie es nur lieb meinen. Und dass sie mehr sind als zweidimensionale Profilfotos auf einem staubigen Monitor.
Nachdem ich mich rasiert und auch sonst in eine halbpassable Ausgehform gebracht habe, schnappe ich mir meinen gepackten grünen Tchibo-Koffer von der Couch, nehme die Schlüssel und öffne die Wohnungstür.
Dann bleibe ich stehen.
Ich schließe die Tür wieder, stelle den Koffer auf dem klebrigen Flurboden ab und fahre meinen Rechner noch mal hoch.
Die Facebook-Seite baut sich auf, und ich sehe sofort, dass ich drei neue Benachrichtigungen habe: Zwei Uni-Professoren und eine Friedrichshainer Strandbar haben meine Freundschaftsanfrage bestätigt.
Ich klicke auf mein Profil, und nach einer kurzen Ladezeit blinkt mir in der linken unteren Ecke die Zahl 300 entgegen. Nein, das ist natürlich nicht wahr, sie blinkt nicht, sie steht einfach nur da, ordinär und schmucklos.
Plötzlich ploppt das Chatfenster auf. André. Er fragt, wo ich bleibe. Max, Sascha und er säßen unten im Auto vor meiner Wohnung und warteten. Und sie hätten genug Wodka O dabei, um den gesamten Bad Saarower Schützenverein besoffen zu machen.
»Komme gleich«, schreibe ich lächelnd.
Dann öffne ich meine Freundesliste, suche nach Steffi und lösche sie.
Bist du sicher, dass du deine Verbindung mit Steffi Gehrasch entfernen möchtest?
»Ja, bin ich«, sage ich und drücke auf »Entfernen«.
Was folgt, ist Stille. Und der Gedanke daran, dass Bad Saarow vielleicht doch nicht so nerdig ist, wie Steffi es mir immer weismachen wollte. Immerhin ist Bad Saarow in den Sommermonaten oft ausgebucht.
Weitere Kostenlose Bücher