Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rette mich vor dir

Rette mich vor dir

Titel: Rette mich vor dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tahereh H. Mafi
Vom Netzwerk:
stehen viele Menschen, die ich bislang höchstens kurz aus der Ferne gesehen habe und an deren Lächeln und Lachen ich niemals teilhaben durfte. Vor einem in die Wand eingelassenen Whiteboard und einem blinkenden Monitor sind Tische und Stühle für einzelne Personen aufgestellt wie in einem Klassenzimmer. Ich entdecke Castle in der Ecke. Er betrachtet so konzentriert etwas auf einem Klemmbrett, dass er uns nicht bemerkt, bis Kenji ihm einen Gruß zuruft.
    Ein freudiges Lächeln tritt auf Castles Gesicht.
    Die intensive Verbindung zwischen den beiden war mir schon aufgefallen, aber nun wird mir umso deutlicher bewusst, dass Castle eine spezielle Beziehung zu Kenji hat. Dass er so stolz und liebevoll und fürsorglich mit ihm umgeht, wie es für gewöhnlich nur Eltern mit ihren Kindern tun. Ich frage mich, wie und wo die Beziehung der beiden ihren Ursprung hat und wie sie sich gefunden haben. Und merke, wie wenig ich weiß über die Bewohner von Omega Point.
    Ich schaue in die erwartungsvollen Gesichter von Männern und Frauen, jungen und älteren aus aller Herren Länder. Sie gehen miteinander um, als gehörten sie einer großen Familie an, und ich spüre einen seltsamen stechenden Schmerz an den Seiten, der Löcher in mich reißt, der mich innerlich aushöhlt.
    Es kommt mir vor, als betrachte ich eine weit entfernte Szene durch eine Glasscheibe. Sehne mich danach, Teil davon zu sein, und weiß doch, dass das niemals passieren wird. Manchmal vergesse ich, dass es hier Menschen gibt, die trotz ihrer Lage immer noch täglich lächeln.
    Sie haben die Hoffnung nicht aufgegeben.
    Ich schäme mich plötzlich, bin mir selbst peinlich. In dem hellen Licht wirken meine Gedanken trist und dunkel, und ich wünsche mir, auch noch optimistisch sein und daran glauben zu können, dass ich etwas machen kann aus meinem Leben. Dass es irgendwie, irgendwo, noch eine Chance für mich gibt.
    Jemand pfeift.
    »Okay, Leute«, ruft Kenji, der die Hände wie einen Trichter an den Mund hält. »Setzt euch bitte alle hin. Wir führen eine Schulung für diejenigen durch, die das noch nicht absolviert haben, und ihr müsstet jetzt alle ein bisschen zur Ruhe kommen.« Er lässt den Blick durch den Raum schweifen. »Gut. Sucht euch einfach irgendwo einen Platz. Lily – du musst nicht – na gut, das geht schon. In fünf Minuten legen wir los, ja?« Er hält die rechte Hand hoch, mit gespreizten Fingern. »Fünf Minuten.«
    Ich setze mich rasch auf den nächsten Stuhl, ohne mich umzusehen. Betrachte eingehend die Holzstruktur des Tischs, während die anderen sich einen Platz suchen. Irgendwann wage ich einen verstohlenen Blick nach rechts. Hellblonde Haare, schneeweiße Haut; zwei klare blaue Augen blinzeln mir zu.
    Brendan . Der elektrische Junge.
    Er lächelt mich an. Grüßt mich lässig mit zwei Fingern.
    Ich wende rasch wieder den Blick ab.
    »Ach, hallo«, höre ich jemanden sagen. »Was machst du denn hier?«
    Ich schaue nach links, sehe rotblonde Haare und eine schwarze Plastikbrille auf einer leicht schiefen Nase. Winston . Er war derjenige, der mir so viele Fragen gestellt hatte, als ich in Omega Point eintraf. Hatte sich als Psychologe vorgestellt. Er hatte auch meinen Anzug entworfen. Und die Handschuhe, die ich nun ruiniert hatte.
    Er ist wohl so eine Art Genie, aber ich weiß es nicht genau.
    Im Moment kaut er an seinem Kuli und starrt mich an. Rückt mit dem Zeigefinger seine Brille zurecht. Mir fällt wieder ein, dass er mir eine Frage gestellt hat.
    »Ich weiß es selbst nicht«, antworte ich. »Kenji hat mich hergebracht, mir aber nichts erklärt.«
    Das scheint Winston nicht zu überraschen. Er verdreht die Augen. »Er wieder mit seiner nervenden Geheimnistuerei. Keine Ahnung, weshalb er glaubt, es sei nötig, immer alles so spannend zu machen. Scheint sein Leben für einen Film zu halten oder so. Ewig dieses dramatische Getue. Absolut ätzend.«
    Darauf weiß ich nichts zu antworten. Denke nur, dass Adam ihm wohl beipflichten würde, und dann denke ich wieder an Adam, und dann
    »Ach, hör nicht auf den.« Englischer Akzent. Ich schaue wieder nach rechts. Brendan lächelt immer noch. »So früh morgens ist Winston immer unausstehlich.«
    »Herr im Himmel, wie viel Uhr ist es eigentlich?«, fragt Winston. »Ich könnte einem Soldaten in die Eier treten, um an Kaffee zu kommen.«
    »Selbst schuld, wenn du nie schläfst, Mann«, versetzt Brendan. »Du spinnst, wenn du meinst, du könntest mit drei Stunden Schlaf pro Nacht fit

Weitere Kostenlose Bücher